Foto: Frosch und andere Bühnentiere in „Die Rache der Fledermaus“ © Krafft Angerer
Text:Detlev Baur, am 25. November 2022
Das Klima wird rauher. Gestern erreichte uns der offene Brief von Theaterleuten unter dem Titel „Klimaschutz ist kein Verbrechen“, der die zuletzt stark kritisierten Aktionen der radikalen Klimaschützer der „Letzten Generation“ verteidigte. (Der Mitinitiator Lothar Kittstein hat uns heute diesen Text geschickt.) Am Abend sorgten dann Aktivisten dieser Gruppe für die anderthalb-stündige Blockade des Berliner Flughafens. Die Theater wollen in der zentralen politischen Frage der Gegenwart nicht abseits stehen, sondern den überfälligen Kampf für eine besser behandelte Welt auch künstlerisch unterstützen. Das ist verständlich und ehrenwert. Doch wie passen klimabewusstes Schauspiel und die champagnerlaunige Operette „Die Fledermaus“ zusammen?
Operette sich, wer kann?
Letztlich will Regisseurin Anna-Sophie Mahler wohl gerade die dekadente Gesellschaft, wie sie in der Operette gezeigt und zu Gehör gebracht wird, mit den wahren Opfern unserer rücksichtslosen Vergnügungsexistenz kontrastieren: mit den bereits ausgestorben Arten dieser Welt. Dazu taugt ein Text des Dramatikers Thomas Köck, der seit Jahren das Wirken des Menschen gegenüber der Natur sprachlich gewandt verurteilt. In „und alle tiere rufen: dieser titel rettet die welt auch nicht mehr“ werden der „sardinische pfeifhase“ oder „die himalayawachtel“ als „verschwunden“ beklagt. Oft agieren die sieben Schauspieler:innen und der rund 20-köpfige Chor des Klub Konsonanz in stilvollen Tiermasken (Kostüme: Pascale Martin), oft als „Täubchen“. Und in der Maskierung trifft sich am Hamburger Thalia Theater „Die Rache der Fledermaus“ mit der Erfolgsoperette, deren ursprünglicher Titel „Die Rache einer Fledermaus“ lautete. Denn dort rächt sich Dr. Falke auf einem Kostümfest an seinem „Freund“ Eisenstein für eine vergangene Demütigung, die Falke im Kostüm einer Fledermaus zu erleiden hatte.
Die Wunde zelebrieren?
Zunächst fragt ein Frosch, eine sehr präsente Cathérine Seifert, vor einer mit Waldtieren bezeichneten schwarzen Wand (Bühne: Katrin Connan) mit quäkend verfremdeter Stimme nach dem „Takt der Erinnerungen“, weist darauf hin, dass dies weder Unterhaltung noch Erklärung sei, wohl aber „die Wunde zelebrieren“ wolle, „und darauf erst mal Musik“. Nun, nach düsteren Tönen im Hintergrund, nimmt die Operette mit kleinem Orchester (fünf Musiker mit Arno Waschk an Klavier und Keyboard) Fahrt auf. Felix Knopp zeigt einen durchgehend schmierigen Gabriel von Eisenstein, während Gabriela Maria Schmiede als seine Gattin Rosalinde und Victoria Trauttmansdorff als Stubenmädchen Adele von Beginn an deutlich zwischen gesellschaftlichem Rollenspiel und wahrer Haltung unterscheiden. Besonders abgründig erscheint Björn Meyers Dr. Falke in einer gespaltenen Figur aus Möchtegern-Superheld und Außenseiter; Julian Greis wiederum hat in der Rolle von Rosalinds Hausfreund Alfred wenig Entwicklungsmöglichkeiten, zeigt aber als großer ausgestorbener Vogel traurig-würdevolle Eleganz. Odin Biron glittert spielerisch und gesanglich in der Rolle des gastgebenden Prinzen Orlofsky – warum er zunächst als spät gekommener Zuschauer übers Parkett auftritt, bleibt unklar.
Dramaturgisch ambitioniert, inszenatorisch souverän, musikalisch in aller Bescheidenheit gelungen, aber sinnlich wenig greifbar bleibt diese Operetten-Überschreibung auch im Ganzen. Im mittleren Drittel der knapp zwei Stunden entsteht zuweilen eine schöne Reibung zwischen süßlicher, um sich kreiselnder Musik und animalischer Gier der Menschen auf der einen und verlorenen Kreaturen auf der anderen Seite: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Doch die Intrigen und Demütigungen der Figuren verläppern auf einer silbernen Showtreppe, Falke/Fledermaus wird von Eisenstein/tasmanischer Wolf brutal die Treppe hinabgestoßen; die Geschichten der Menschen bleiben allenfalls angerissen, die Tiermasken werden nicht zu mehr als angedeuteten Schicksalen. Das finale Lacrimosa aus Mozarts Requiem verpufft seltsam. Und Froschs letzte Worte (von Thomas Köck) weisen eher auf eine Ratlosigkeit der ambitionierten Theatermacher:innen, als dass sie beim Publikum ein Gruseln entstehen ließen, das womöglich zu einer Umkehr von der schnöden Gier-Gesellschaft führten: „Hier ist schon lange keine Musik mehr, hier herrscht längst schon Stille.“