Klimaschutz ist kein Verbrechen

Gestern wurde eine gemeinsame Erklärung zahlreicher Theaterleute veröffentlicht. Der Autor und Mitinitiator Lothar Kittstein über seine persönlichen Gründe für die Unterstützung der „Letzten Generation“.

 

Als Volker Lösch mir anbot, für eine Inszenierung in Bonn „Recht auf Jugend“ von Arnolt Bronnen im Hinblick auf radikalen Klimaprotest zu überschreiben, dachte ich erst: Klimawandel? Wie kann ich einem Thema etwas abgewinnen, über das alle informiert und einer Meinung sind? Bei der Suche nach Mitwirkenden trafen wir Menschen von der „Letzten Generation“, die damals noch wenig bekannt war. Da wurde mir klar, wie wenig ich selbst wusste. Kipppunkte? Nie gehört. Mir war auch nicht klar, dass die Temperatur über Ozeanen weniger, über Kontinenten viel stärker steigt. Ich hatte gedacht, die Folgen seien im globalen Süden schlimm, in Europa beherrschbar. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Meine Annahme, ich wüsste das Wichtige schon, war nur Selbstschutz gewesen.

Abneigungsreflexe der Gesellschaft

Bei den Proben wirkten drei Aktivist*innen der „Letzten Generation“ mit. Parallel stieg die mediale Aufmerksamkeit an. Und der Hass. Der Begriff „Klimakleber“ kam auf. Die BILD hetzte gegen „Klima-Chaoten“, „Terroristen“. Die Union sprach von „grüner RAF“. Berlins Polizeipräsidentin sah die Stadt im „Würgegriff“. Ich las E-Mails an die „Letzte Generation“ voll Hass und Todeswünschen. Dabei sah ich auf der Probebühne drei friedliche, reflektierte, empathische junge Menschen. Es war beängstigend, live zu erleben, wie die Gesellschaft sich einem Abneigungsreflex hingab, der dem Bedürfnis entsprang, im Alltag nicht behelligt zu werden. Spätestens jetzt wurde das Thema, von dem ich klammheimlich gedacht hatte, dass es vielleicht bloß ein naturwissenschaftliches sei, für mich politisch.

Als Autor ist man privilegiert, steht über den Dingen. Man mischt sich nicht ein. Ich verlor diese Distanz. Ich fing an, versehentlich nicht mehr von „ihr“, sondern von „wir“ zu sprechen. Das war unangenehm, peinlich. Wo blieb die vornehme Künstlerperspektive? Ich, ein Aktivist? Wie albern.

Erste Blockadeerfahrung

Einige Wochen später klebte ich bei meiner ersten Blockade meine linke Hand auf den Asphalt Ecke Seestraße/Müllerstraße in Berlin. Leute schrien mich an: „Kugel in den Kopf!“, „Hände abhacken!“. Eine junge Frau rief minutenlang: „Ihr ändert gar nichts! Ihr werdet nichts ändern! Gar nichts!“ Die Trostlosigkeit des falschen Bewusstseins in einem Satz – in Endlosschleife. Eigentlich war das wütend gemeint. Irgendwann wirkte es verzweifelt. Die Blockade wirkt auf Schmerzpunkte der Wohlstandgesellschaft, die nichts davon wissen will, wie schuldig und verwundbar zugleich sie ist. Viele riefen: „Geht arbeiten!“ Aber es war mitten am Tag – diese Leute hatten selbst nichts zu tun. Der Hass maskierte die Angst, der eigenen Gefährdung ins Auge zu sehen.

Die vornehme Variante des Hasses, die erstaunlich viel Kunstverachtung enthält, hat Simon Strauß in der FAZ formuliert. Unseren Aufruf – mithin auch alle Unterzeichner*innen – nannte Strauß „haltungsbesoffen“. Die in gedrechselte Sätze gekleidete Wut zeigt an, dass das Problem gesellschaftlich bis ganz oben reicht. Sie zeigt, wie richtig der Aufruf war. Als Theatermensch hat man ja Angst vor Pathos. Aber wir sind an einem Punkt, wo man sich radikal entscheiden muss: für die Zukunft der menschlichen Zivilisation oder dagegen. Ein Zeichen dafür sollte unser Aufruf sein, für dessen Unterstützung durch so viele, die stündlich mehr werden, wir dankbar sind.

Die gemeinsame
Erklärung, die bereits von zahlreichen Künstler:innen unterzeichnet wurde, findet sich hier: Klimaschutz ist kein Verbrechen.

 

Lothar Kittstein © Sandra Then