Szene aus "Incanto" von Mauro de Candia.

Abstrakt und grotesk

Mauro de Candia: Incanto

Theater:Theater Osnabrück, Premiere:17.11.2012Komponist(in):Martin Räpple

Die Tänzerin tritt rückwärts auf, vorbei an einer Kulisse aus knittrigem Papier. In Wellen zieht sich das weiße Material über die Bühne, bildet Nischen, aus denen Tänzer hervortreten und wieder verschwinden. Die fließend-weichen, teils gebrochenen Bewegungen der Tänzerin nehmen ihren gesamten Körper ein. Aus dem Off ertönen Geräusche: Seiten, in denen jemand blättert, bevor sie zerknüllt werden. „Incanto“ (übersetzt: Zauber, Verzauberung, Bezauberung) ist der erste Tanzabend des neuen Leiters der „Dance Company Theater Osnabrück“, Mauro de Candia.

Ursprünglich hatte der 31-jährige Italiener, der bis dato international freischaffend als Choreograph engagiert war, das Stück für die Münchener Compagnie, Ballett im Theater am Gärtnerplatz, kreiert. In seiner ersten Zusammenarbeit mit dem neu formierten, zehnköpfigen Osnabrücker Ensemble entstand daraus ein überarbeitetes, abstraktes Stück mit dem Titel „Papier de Chair II“ („Papier der Haut II“).

Wie Teilchen einer Masse fügen sich die Tänzer in Zweier-, Dreierkonstellationen oder als Gruppe zusammen. Mal ziehen sie einander an, mal grenzen sie sich voneinander ab, in anspruchsvollen, das Tempo stetig verändernden Bewegungen. Mauro de Candia choreographiert ein Gebilde aus gesichtslosen, flexiblen Körper-Konstellationen im surrealen Raum. Dass es dem Choreographen laut Programm auch um den Ausdruck von Gefühlen geht, erschließt sich kaum. Transparenter wirkt dagegen die Ausgangsidee von Origami, der Kunst des Papierfaltens: Veränderung der Form durch kunstvolle Bewegung.

Wie vielseitig die Compagnie ist, zeigt der zweite Teil des Abends. „Purple Fools“ („Hochtrabende Idioten“), ursprünglich choreographiert für das Milwaukee Ballett, ist vor Bewegung sprühendes Tanztheater im Stil einer Groteske. Zu Klassikern aus Opern- und Orchestermusik, wie Offenbachs „Bacarole“, Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ oder Mozarts „Zauberflöte“, werden Theater und Künstler selbst persifliert: Weiß gepuderte Tänzerinnen und Tänzer reißen exaltiert ihre Münder auf, schütteln sich den Staub aus hoch aufgetürmten Frisuren oder erleiden Misserfolge, wenn sie unter lautem Gelächter der anderen buchstäblich auf der Nase landen. In de Candias rasanter Choreographie jagt das Ensemble auf rollbaren Stühlen über die Bühne, Tänzerinnen werden von Tänzern durch die Luft gewirbelt, hysterische Frauen wehren um sie buhlende Männer gewaltsam ab. Überdreht-clowneske, grandios getanzte Szenen, die neugierig machen auf das, was noch kommt…