Impression vom Filmdreh im Brandenburger Theater

Wie eine Theaterinszenierung zum Stream wird

Das Brandenburger Theater und der Stadtfernsehsender SKB haben kurzfristig Frank Martin Widmaiers Inszenierung von Mozarts frühem Singspiel „Bastien und Bastienne“ für eine Fernsehausstrahlung aufbereitet. Eine Reportage.

 

Durch kurzfristige Verständigung konnte ich beim Drehtermin am 10. Dezember 2020 um 13.00 Uhr dabei sein. Für den künstlerischen Leiter Frank Martin Widmaier war das wichtigste Anliegen für zwei digitale Aufzeichnungen der kurzfristig eingeschobenen Operneinakter die öffentliche Präsenz und Wahrnehmbarkeit in schwieriger Zeit. Als angereister Beobachter betrachte ich die spontane Stream-Aktion eines kleineren Theaters mit einem regionalen Medienanbieter als schlichtweg sensationell. Die Frage dahinter lautet: Warum gibt es nicht häufiger ähnliche Synergien von Bühnen, die selten oder nie mit vollständigen Stücken im Programm großer Sender oder Labels erscheinen, mit regionalen Mediengesellschaften?

Filmen und Streamen kann offenbar einfach, relativ kostengünstig und äußerst wirksam sein, wenn alle Mitwirkenden an einem Strang ziehen. Ursprünglich wollte Frank Martin Widmaier, der das Brandenburger Theater zur Spielzeit 2019/2020 übernahm und erstmals seit langer Zeit und mit großem Zuspruch Musiktheatereigenproduktionen realisierte, im Herbst Humperdincks „Hänsel und Gretel“ herausbringen, erstmals ein bekanntes, beliebtes Mainstream-Werk. Das war aus bekannten Gründen nicht zu realisieren. Reines Abwarten und Theater-Dichtmachen kam für Widmaier und sein Team nicht in Frage. Das hätte einen Neustart seiner Initiativen post coronam bedeutet. So dachte man sich ein Ersatzprogramm aus, das praktikabel und ohne Abstriche machbar war. Mozarts „Bastien und Bastienne“ erlebte am 16. Oktober 2020 noch die physische Publikumspremiere, aber die Premiere von  „Pimpinone“ von Georg Philip Telemann war wegen des ab 2. November untersagten Spielbetriebs gefährdet. Hinter den für die Öffentlichkeit geschlossenen Türen probte man weiter und so kam die jüngere Produktion als erste vor die Kameras und damit in die Mediathek.

 

Kyoungloul Kim und Elena Bechter in "Bastien und Bastienne"

Elena Bechter Kyoungloul Kim in „Bastien und Bastienne“ am Brandenburger Theater © Juliane Menzel

 

Etwa 22 Orchestermusiker*innen waren im Graben zugelassen, eine für beide Stücke luxuriös große Besetzung. Aufgrund mangelnder Auftrittsmöglichkeiten gelang die Verpflichtung des Barock-Spezialisten Gerd Amelung als Dirigent. Die Solisten sind Elena Bechter und Kyongloul Kim, Studierende höherer Semester der Universität der Künste Berlin und der Bassbariton Sebastian Noack. Angedacht ist, dass „Bastien“ und „Pimpinone“, letzteres dirigiert von Elina Albach, bei späteren Aufführungen in einem Theaterabend zusammengeführt werden können – als Stücke über Partnerschaftskonflikte und die Frage, wie man sich die beste Partie kapert. Deshalb zwei Stücke im gleichen Dekor: Auf die Drehscheibe hat der Bühnenbild-Debütant Johannes Fried eine fast zu hübsche Gartenzone mit Parkbank und Rosenbogen gebaut. Die Haltung der Kostüme von Rebecca van de Sand und der Dialogaktualisierungen von Daniel Klumpp („Pimpinone“) und Willi Händler („Bastien“) sind identisch: Heutig, mit einer pikanten Überreizung Richtung Trash und Slang, dazu viel Farbe: „Lass ihn hängen, geh nicht ans Smartfon“ empfiehlt der „Augenzauberer“ Colas der soliden Bastienne für ihren erfolgreichen Verkehr mit dem metrosexuellen Bastien – und angelt sich selbst die stumme Bitch Serena (Anna Strehlau). Es geht um Zärtlichkeitsentzug und jede Menge horizontalen Spaß, natürlich auf Abstand. Die Nähe zu beliebten Serienformaten ist kein Zufall.

Wirtschaftlich war für die Aufnahmen etwas Spielraum, weil der private Sender SKB Stadtfernsehen Brandenburg nicht die vereinbarten Leistungen an Vor- und Begleitberichten erfüllen konnten. Die Produktionen und Konzerte fanden ja nicht statt. Mit dem noch vorhandenen Stundenkonto sowie der Unterstützung der Fördervereine von Theater und Orchester war das variierte Leistungspaket schnell geschnürt. Zum Drehtermin von „Bastien“ lag das „Pimpinone“-Video schon auf Youtube.

Am Tag der „Bastien“ fand eine Auffrischungsprobe mit Orchester und Dekorationen statt. Vier Kameras wurden im ansteigenden Zuschauerraum des Brandenburger Theaters aufgebaut: eine links am Orchestergraben; eine in der Mitte auf der Position, wo sonst das Regiepult steht; weiterhin eine auf der obersten und eine auf der mittleren Ebene. Die Assistenten Philina Kahl, Haymo Schmidt und Annika Wenderoth hatten zweispaltige Skripts mit den wichtigen Bewegungsfolgen der Inszenierung Widmaiers vorbereitet. Aufnahmeleiter Jonas Kontauts, der vom Staumeldungen bis zu Sinfoniekonzerten ein reiches Themenspektrum bedient, kennt das Theater und seine Herausforderungen aus seiner Perspektive sehr gut. Für Michael Vu war schon mit dem ersten Takt klar, dass der Schnitt des Videomaterials für die erste Rohversion eine Nacht dauern wird.

Geplant war für den Dreh ein einziger Durchlauf ohne Unterbrechungen. Dieser wurde durchgezogen. Schnell zeichnete sich ab, dass das Resultat nicht optimal ist. Bis auf zwei Stuhlreihen war der Zuschauerraum leergeräumt. Die Akustik und die Atemmasken aller Anwesenden, ausgenommen Sänger und Musiker, generierte eine kühlende, fast lähmende Atmosphäre. Zum ersten Mal erlebte ich direkt den immensen Druck von Sängern, die während einer Aufzeichnung ohne psychische Schwingungen eines Publikums Intensität erzeugen müssen: Vor einem leeren Saal ohne menschelnde Reaktionen sangen die drei Solisten mit dem unter Mühe simulierten Ausdruck einer Live-Aufführung gegen das Atmosphäre-Loch im Saal.

 

Impression vom Filmdreh im Theater Brandenburg

Impression vom Filmdreh im Brandenburger Theater © Roland H. Dippel

 

Danach fand die schon vorher angesetzte Drehbesprechung im Sitzungsraum statt. „Zu viele Anwesende!“ moniert der verantwortliche Obmann und einige stellen sich deshalb in Nähe der geöffneten Balkontür auf die Terrasse. In sechs Minuten sind die Absprachen für die verbleibenden 105 Drehminuten des in dieser Fassung knapp einstündigen Stücks klar. Ab jetzt soll an allen Stellen, die nicht klappen, unterbrochen werden, auch damit das Kamerateam die Cues sofort an kritischen Stellen markieren kann.

In den ersten Minuten werden die Sänger – verständlicherweise – nervös und geraten in mehr spürbares als reales Haspeln. Nur kurz. Dann reißen sie die Situation an sich und unterbrechen in der zweiten Hälfte sogar selbst, wenn sich für sie etwas nicht ‚richtig‘ anfühlt. Mit voller Zustimmung des Dirigenten Amelung: „Bei mir müssen die Fäden zusammenlaufen, es ist wichtig, dass ihr mein Tempo nehmt. Dann kann ich graben und eure Impulse auf der Bühne zusammenbringen. Die dramatischen Impulse kommen von euch.“ Auch Widmaier hat einige Detailanmerkungen. Die größte Beanspruchung für das junge Ensemble liegt in dem Wollen, vor den Kameras jedes Detail mit messerscharfer Präzision, mit dem optimalen Ausdruck und mit perfektem Gesang zu treffen. Sie versuchen das mit der gleichen Präsenz und Power wie genuine Filmschauspieler. Das funktioniert, selbst wenn Dirigent und Regisseur wahrscheinlich einigen Stellen des ersten Durchlaufs beim finalen Schnitt den Vorzug geben werden.

Zwei Stückdurchläufe, ein Drehtermin – so funktioniert effizientes Zeitmanagement. Das Brandenburger Theater hat damit innerhalb von kürzester Zeit zwei digitale Videos von Kurzopern zur Verfügung. Neben verschiedenen Weihnachtsprogrammen wird auch die Silvestergala unter der musikalischen Leitung von Stefan Klingele und der Moderation von Dagmar Frederic folgen. Angedacht war die Stream-Aufzeichnung eines Abonnementkonzerts der Brandenburger Symphoniker. Die von SKB realisierten Opernvideos verstehen sich als Dokumente: Effekte einer übergeordneten Kamera-Dramaturgie, welche die Bühnenproduktionen mit einem medialen Kunstwert überziehen sollen, sind nicht geplant. Trotz Corona hat das Brandenburger Theater zu Weihnachten zwei digitale Opern als Eigenproduktionen im Angebot – mit Inszenierungen ohne Kompromisse und Einstudierungen, die kleine Opern in großer Besetzung vorstellen statt große Opern in ein corona-kompatibles Format zu schrumpfen. Zur Nachahmung empfohlen!

 

Impression vom Filmdreh im Brandenburger Theater

Impression vom Filmdreh im Brandenburger Theater © Roland H. Dippel

 

„Bastien und Bastienne“ wird im Brandenburger Stadtfernsehen SKB ab Samstag, 12.12. 19:00 das ganze dritte Adventswochenende lang zu jeder ungeraden Stunde zu sehen sein, „Pimpinone“ am 23.12. ab 0 Uhr zu jeder geraden Stunde.