Extraausgabe des Kantinencomics

Krisentagebuch 5: Kein Applaus

Mal schwillt er langsam an, mal bricht er sich tobend Bahn. Er kann verhalten sein, wütend oder begeistert, erschlagen oder routiniert und manchmal gar unentschieden. Wer wie ich häufig ins Theater geht (derzeit muss man sagen, ging), kennt Applaus in verschiedensten Formen, mal geordnet und rhythmisch, mal zu früh anbrechend, bisweilen stehend und von Buh- oder Bravo-Rufen begleitet. Immer kollektiv. Ein selbstverständlich gewordenes „Geräusch“, eine gemeinschaftliche Geste, die ich in dieser Zwangstheaterpause vermisse. Für viele meiner Kritikerkollegen und -kolleginnen gehört das Nicht-Klatschen zur Berufsehre. Manche klatschen, aber extra verlangsamt, womöglich als Ausdruck einer besonderen Geringschätzung oder vielleicht als eine Art zur Schau gestellte Zurückhaltung. Ich für meinen Teil muss an dieser Stelle gestehen, dass ich mich an diese „Ehre“ nicht halte. Noch nie gehalten habe. Anerkennung einer Arbeitsleistung (und mit der ist jede, wirklich jede Premiere verbunden) und Bewertung einer künstlerischen Leistung sollte man, davon bin ich überzeugt, voneinander trennen. Gut, auch ich entziehe mich Standing Ovations und jeglichen Ausrufen. Ich habe mein eigenes Klatschtempo entwickelt, das ich für angemessen halte: handfest, aber nicht zu laut, freundlich, aber nicht gewogen – irgendwo zwischen andante und facile. Applauskenner würden diese Nuancen womöglich heraushören.

Im Moment bin zum Nicht-Applaus gezwungen, sind mir praktisch die Hände gebunden. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal in einem voll besetzten Zuschauerraum sitzen darf, über die Qualität einer Inszenierung oder Choreographie innerlich schon sinnierend, während ich dem Applaus der anderen lausche und selbst den Künstlern auf der Bühne meinen Respekt zolle: mit meinen Händen. Ich bin sicher, es wird mir ein Fest sein.