Krisentagebuch 41 – Heute keine Vorstellung
Foto: Schließ-Mitteilung im Theater Kiel © Theater Kiel Text:Andreas Falentin, am 28. Januar 2022
Es ist eine Liste des Grauens und sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit: Das Theater Kiel spielt seit Tagen gar nicht, das Schauspielhaus Bochum hat seine für heute geplante „Macbeth“-Premiere verschoben, am Staatstheater Nürnberg fallen gleich zwei Schauspiel-Aufführungen aus und das Residenztheater München kann sein Techno-Literatur-Projekt „Die Unerhörten“ heute nicht zeigen. Das Theater Bonn meldet den Ausfall von 15 Vorstellungen in sieben Inszenierungen bis Mitte Februar, darunter allein heute zwei und in Stuttgart und Wiesbaden mussten die Premieren von Tracy Letts‘ „The Minutes“ respektive Wajdi Mouawads „Verbrennungen“ verschoben werden, so dass die für heute vorgesehenen Folgevorstellungen naturgemäß nicht stattfinden. Das Schauspiel Frankfurt spielt heute Abend „Andorra“ statt „Hedda Gabler“, das Burgtheater „Der Selbstmörder“ anstelle von „Die Ärztin“ und morgen „Alles, was der Fall ist“ statt „Reich des Todes“. Am Wochenende fallen am Schauspiel Köln drei und am Theater Magdeburg zwei Veranstaltungen aus. Das Staatstheater Kassel kann morgen seinen gefeierten Late-Night-Tanzabend genauso wenig zeigen wie das Staatsschauspiel Dresden sein hochspannendes Projekt „Das Leben nach der Kunst“ mit ehemaligen Angehörigen der Semperoper. Diese wiederum kann im Moment ihr Ballett „Dornröschen“ genauso wenig aufführen wie das Theater Münster sein Muscial „Triumpf der Liebe“. Und in Mecklenburg-Vorpommern sind die Theater bekanntlich bis 20. Februar komplett geschlossen.
Die Ursache ist klar. Offizielle Begründungen sind in der Regel „Erkrankungen im Ensemble“ oder „Quarantäne-Maßnahmen“. Gelegentlich äußern sich die Häuser differenzierter. Dann erkennt man, wie schutzlos der Theaterbetrieb, bei dem nun einmal körperliche Begegnungen im Zentrum stehen, der Pandemie ausgeliefert ist, trotz hochwertigster Hygienekonzepte und strikter, differenzierter Einhaltung aller Regeln. „Aufgrund der gestiegenen Inzidenzzahlen und den damit angepassten Sicherheitsmaßnahmen konnte die ursprünglich geplante Disposition im Hinblick auf die Premiere ,Die lustige Witwe‘ nicht eingehalten werden. Die damit verbundene Neuplanung der Endproben für die Operette führt leider zum Ausfall der heutigen Vorstellung ,Sehnsucht‘“, heißt es auf der Homepage der Oper Dortmund. Das Schauspielhaus Bochum begründet die kurzfristige Absage der „Macbeth“-Premiere damit, dass der „Pandemie-bedingt beeinträchtige Probenzeitraum“ nicht ausreiche, „um die Inszenierung fertig zu stellen“. „Um unsere Mitarbeiter*innen auch weiterhin bestmöglich bei ihrer Arbeit zu schützen und um Ausfälle so gering wie möglich zu halten, kehren wir in der Oper auf der Bühne und im Orchestergraben erneut zu größeren Abständen zurück“, heißt es schließlich in einer Pressemeldung des Nationaltheaters Mannheim betreffs der Verschiebung der „Fliegende Holländer“-Premiere in den April. Das Wagner-Orchester passt nicht mehr in den Graben. Wie Mehltau liegen die Omikron-Viren auf den Theatern. Und ein Schädlingsbekämpfungsmittel scheint gerade nicht in Sicht.
Ein kleines Lichtlein der Hoffnung kommt ausgerechnet aus Bayern. Laut Kabinettsbeschluss vom Dienstag dürfen die Theater im Freistaat ihre Zuschauerräume ab sofort wieder zur Hälfte besetzen, was vielen Häusern wieder etwas wirtschaftlicheres Arbeiten ermöglichen könnte. Wenn es denn genug nicht infiziertes oder zur Quarantäne verpflichtetes Personal auf und hinter der Bühne gibt, um einen Vorstellungsbetrieb zu ermöglichen. Und sofern das Publikum wirklich kommt, also seinem Theater-Enthusiasmus trotz allem Priorität einräumt, die eigene Angst überwindet und die zurzeit eingeschriebene Planungsunsicherheit erträgt. Das Theater braucht diese Zuschauerinnen und Zuschauer heute mehr als je zuvor.