Krisentagebuch 37 – Was noch sicher ist
Foto: Geregelter Einlass: Zuschauer beim Einlass vor dem Thalia Theater Hamburg © Krafft Angerer / Thalia Theater Text:Bettina Weber, am 19. November 2021
Die Zeit der Gewissheiten scheint vorbei. Da wäre zum Beispiel die vermeintliche Gewissheit, dass wieder problemlos vor Publikum im Theater gespielt werden kann, dass es keinen weiteren Lockdown geben wird. Zu Beginn dieser Saison war die Lage relativ hoffnungsvoll, angesichts niedriger Infektionszahlen, fortschreitender Impfungen und ausgefeilter Hygienekonzepte reduzierten die meisten Theater landauf, landab ihre digitalen Spielpläne auf ein Minimum und setzen wieder auf den „Echt-Spielbetrieb“. Man spürte ein kollektives Aufatmen, ein erschöpftes „Endlich!“ allüberall. Und wer könnte es den Theaterschaffenden gänzlich verübeln? Schließlich ist das Spielen vor real anwesendem Publikum das Herzstück des Theaters. Doch mit zunehmender Datenlage warnten die Virologen immer eindringlicher vor einer nachlassenden Impfwirkung und den möglichen Folgen einer stagnierenden Impfkampagne in der kalten Jahreszeit. Die Politiker jedoch, zumal auf Bundesebene, ignorierten diese Warnungen im Angesicht der Bundestagswahl (wie Detlef Brandenburg in seinem letzten Krisentagebuch hinreichend beschrieben hat), die Impf-Infrastruktur wurde stattdessen zusammengeschrumpft und die Möglichkeiten der kostenlosen Testungen beschränkt. Ein Konzept für die prognostizierte epidemische Lage im Winter? Fehlanzeige.
Neue Lockdown-Gefahr
Die Folgen all dessen spüren wir, spüren auch die Theater jetzt: Mit dem Salzburger Landestheater muss in Österreich nun wieder das erste Theater in den Lockdown; der Spielbetrieb ist vom 22. November bis vorerst 5. Dezember eingestellt. Und noch während diese Zeilen entstehen, kommt die Meldung, dass ab kommendem Montag ganz Österreich wieder in den Lockdown muss. Angesichts der Tatsache, dass für die österreichischen Krankenhäuser derzeit bereits Triage-Teams gebildet werden, verwundert dies kaum. Dennoch ist es natürlich eine Hiobsbotschaft. In Deutschland ist die Infektionslage zwar noch nicht so dramatisch wie in Österreich, doch die Gewissheit, dass es keinen Lockdown mehr geben kann, scheint trotz der gegenteiligen Beteuerungen durch die Politik plötzlich nicht mehr unumstößlich. Und bei uns in der Redaktion trudeln praktisch minütlich neue Meldungen herein: In Dresden haben die Sächsischen Staatstheater (Stand heute, 19. November) beschlossen, den Spielbetrieb ab sofort und erst einmal bis zum 24.November einzustellen.
Mehr Krankheit – mehr Last
Fest steht: Seit ein paar Wochen, parallel zu den explodierenden Infektionszahlen, haben die Meldungen über Vorstellungsausfälle aufgrund von Erkrankungen der Theater-Belegschaft zugenommen. Kommuniziert wird das überall anders und meistens defensiv. Viele Häuser agieren mit der zurückhaltenden Beschreibung „krankheitsbedingt“. Auf Nachfrage gibt es unterschiedliche Antworten: Während manche auf die in diesem Jahr besonders kräftige Erkältungswelle verweisen, berichtet die Bregenzer Intendantin Stephanie Gräve von fünf Vorstellungsausfällen aufgrund von Corona-Erkrankungen im Ensemble. Andere, wie zuletzt das Theater Ulm, vermelden die Verschiebung einer Premiere „aufgrund von Impfdurchbrüchen im Ensemble“, oder müssen gar den Proben- und Spielbetrieb für mehrere Tage einstellen, wie zuletzt die Bayerische Staatsoper. Es mag einerseits kleinlich sein, die genauen Umstände der Spielplanänderungen zu hinterfragen, schließlich ist auch die besonders starke Erkältungs- und Grippewelle in diesem Jahr eine Folge der Pandemie. Und selbst wenn eine Vorstellung abgesagt werden muss, weil aufgrund kurzfristiger Erkrankung auf die Schnelle kein Ersatz gefunden konnte – so geschehen zum Beispiel gerade an der Oper Frankfurt (wo am 11. November eine Vorstellung von Humperdincks „Königskinder“ ausfallen musste) – könnte man wohl einen Zusammenhang mit Corona unterstellen: Schließlich sind Theaterschaffende derzeit keineswegs so mobil einsetzbar, wie sie es vor 2020 waren. Und ein eher harmloser Schnupfen ist nun mal in diesen Zeiten viel eher ein Grund für eine Krankmeldung als sonst. Die Folgen, nämlich eine Mehrbelastung durch gehäufte Krankheitsfälle, spüren einige Theaterbetriebe trotzdem, wie es auch der Intendant der Schauspielbühnen Stuttgart, Axel Preuß, beschreibt: „Jeder Husten, jedes Halskratzen reißt für die Tage der sicherheitsbedingten Absonderung ein Loch in die Dienstpläne, dass wir ad hoc stopfen müssen, teils mit Aushilfen, die dann auch noch zeitaufwändig angelernt werden müssen. Dies führt zu einer erheblichen Mehrarbeit und Belastungen für die einsatzfähigen Mitarbeiter*innen und für die Theaterleitung. Ein weiteres Problem sind die Kartenrückgaben infolge von Erkältungssymptomen bei unseren Gästen. Dies führt zu einer erheblichen Mehrarbeit in der Verwaltung und im Ticketing. Hinzu kommen dann Vorstellungsabsagen, die dann aufwändig abgewickelt werden müssen und neben den zusätzlichen Personalkosten auch noch weitere Löcher bei den kalkulierten Einnahmen reißen.“ Und auch aus der Pressestelle des Nationaltheaters Weimar heißt es: „Ja, durch Krankheit und Quarantänen ist eine höhere Belastung gegeben als im Durchschnitt im November“. Es ist also kompliziert.
Vertrauensbildende Maßnahmen
Dass die meisten Theater eher zurückhaltend kommunizieren, wenn es um Corona-Fälle am eigenen Haus geht, ist nur allzu verständlich. Denn von den datenschutzrechtlichen Fragen mal ganz abgesehen, tun die Theater seit Monaten alles in ihrer Macht Stehende dafür, sowohl ihrer Mitarbeiterschaft als auch dem Publikum die sichersten Bedingungen zu bieten, die möglich sind, haben komplexe und sich beständig ändernde Hygieneverordnungen in individuelle Sicherheitsstrukturen übersetzt (was, nebenbei bemerkt, keine ganz marginale weitere Mehrbelastung ist). Die Theater sind darauf angewiesen, dass ihr Publikum Vertrauen in die Theater und ihre Maßnahmen hat, sich dort sicher fühlt. Panikmache ist das Letzte, was sie brauchen können. Und ja, es gibt auch Häuser, die auf Nachfrage Beruhigendes vermelden können: So schreibt zum Beispiel Dominik Huß, Pressesprecher am E.T.A.-Hofmann-Theater Bamberg: „Die Zuschauer*innen sind zurückhaltender, aber lange nicht so, wie man es hätte befürchten können. Zurzeit haben wir natürlich nicht mehr eine Auslastung von 90 Prozent wie vor Beginn der Pandemie. Wir hoffen aber, dass wir mit abnehmender Pandemie auch langfristig unser Zuschauerniveau wieder erreichen können.“ Auch am Theater Bremen musste bisher keine Vorstellung im Zusammenhang mit Corona ausfallen. Im Stadtstaat Bremen liegt die Impfquote der über 18-Jährigen bei über 90 Prozent. Trotzdem erwägt man am dortigen Theater, ab Dezember freiwillig zum 2G-Standard zu wechseln. In Hamburg wollen auch die Elbphilharmonie und das Thalia Theater das 2G-Modell vorziehen.
Was es braucht
Derart vorausschauend zu handeln – zumal dort, wo die politischen Maßnahmen dem Infektionsgeschehen hinterherhecheln – dürfte momentan das Vernünftigste sein, was die Theater tun können. Zwar ist das Risiko, sich im Theater oder Konzertsaal mit dem Coronavirus zu infizieren, vergleichsweise geringer als in vielen anderen Innenräumen, das haben Studien inzwischen belegt. Dennoch weiß man inzwischen ja auch um die Tatsache, dass Geimpfte das Virus übertragen können. Es scheint also im Veranstaltungsbereich vermutlich auf längere Sicht kein Weg daran vorbeizuführen, zusätzlich zu 2G wieder auf das Testen zu setzen, sprich: 2G+. Sicher ist sicher. Nutzen wir das Wissen, das wir derzeit über das Coronavirus und seine Ausbreitung haben. Dazu gehört übrigens auch die Gewissheit, dass trotz aller Impfdurchbrüche und möglichen Übertragungen der Krankheit durch Immunisierte die Impfung derzeit immer noch das beste und verlässlichste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie ist.