Ein beleuchteter Eingang, davor das wartende, plaudernde Publikum

Zwischen Welten

Das Körber Studio Junge Regie 2025 am Thalia Theater Hamburg eröffnet mit einer Handlungsaufforderung an ein Publikum aus jungen Theaterschaffenden in einer zweifelhaften Zeit. Eine Reportage von Sophie Schuster.

„Our values are being tested“ – mit dieser Gegenwartsdiagnose startet die Dramaturgin und Theatermacherin Rania Mleihi in die Eröffnungsrede des Körber Studio Junge Regie 2025. Ihre Worte richten sich an die vielen jungen Theatermacher:innen, die sich im Foyer des Thalia Theaters in der Gaußstraße versammelt haben. Oder anders: an die „Theatergeneration der Zukunft“, wie es im Programmheft heißt. Die Ansprache ist also nicht nur eine Gegenwartsdiagnose, sondern auch eine Handlungsaufforderung. Und es stimmt. Denn das im Foyer versammelte Publikum steht nicht nur am Ende eines Studienwegs, sondern auch vor der Herausforderung, inmitten von Krisen, Kriegen und instabilen Strukturen für das einzustehen, was sie Theater nennen. Diese Herausforderung anerkennend, möchte Rania Mleihis Eröffnungsrede die frischgebackenen Regisseur:innen ermutigen, in der Ungewissheit ihrer Gegenwart ein Kerngeschäft des Theaters zu erkennen: die gemeinsame Praxis von Resilienz; das gemeinsame Eröffnen von Räumen, in denen Zweifel nicht unterdrückt, sondern in eine produktive Praxis umgesetzt werden.

Darstellende vor einem weißen Tuch, dahinter ein weißes Tuch im Hintergrund

„Im Grünen“, Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur, Stiftung Universität Hildesheim. Foto: Teresa Jägle

Resilienz üben

Was kann das konkret heißen? Und wie kann das gehen? Während ich im Hof des Thalia Theaters noch mit einer Regiestudentin der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch über die Eröffnungsrede spreche, schiebt eine Gruppe junger Menschen ein altes rotes Auto auf das Gelände. Ihre braunen Cowboy-Stiefel klackern auf dem Asphalt. Gemeinsam öffnen sie die Motorhaube und schauen, wo das Problem liegen könnte. „Ah, schau mal! Da ist sie, die Resilienz“, sage ich zu der Studentin. Wir lachen. Geht die Inszenierung schon los? Wollen die mit dem Auto jetzt etwa geradewegs rein ins Theater rollen? „Das passt da niemals durch die Tür“, meint ein anderer Student. Doch sein Augenmaß täuscht. Und so kommt das alte Auto wenige Minuten später – nachdem das Publikum, nun im Theatersaal, eine Weile der Stille eines menschenleeren Bühnenbilds gelauscht hat – von links auf die Bühne gerollt. Mittenhinein in einen Wald, den sich die Spieler:innen im Laufe der Inszenierung auf unterschiedliche Weise erschließen.

Von Szene zu Szene kommen verschiedene Gegenstände, Instrumente und szenische Anordnungen zum Einsatz, um Kontakt zu dem eigenartigen Wald aufzunehmen. Dabei ist zwar immer wieder Lachen aus dem Publikum zu hören, aber nicht ein einziges Wort aus dem Mund der Schauspieler:innen. Denn Fides Rosa Wallis‘ Bachelor-Abschlussinszenierung „Im Grünen“ (Institut für Medien, Theater und Populäre Kultur, Stiftung Universität Hildesheim) kommt ohne gesprochene Dialoge aus. Die Sprache dieser Bühnensituation kennt keine Buchstaben – sie funktioniert in einer Ästhetik außerhalb davon.

drei Darstellende von schräg links oben fotografiert

„Bavarokratie“, Otto Falckenberg Schule, Fachakademie für Darstellende Kunst der Landeshauptstadt München. Foto: Renata Kotti-Domprets

Fest der Verschiedenheit

Ganz im Gegensatz zu Paula Schlagbauers Abschlussinszenierung „Bavarokratie/Βαυαροκρατία“ (Otto Falckenberg Schule, Fachakademie für Darstellende Kunst der Landeshauptstadt München), die ebenfalls am Eröffnungstag auf der Bühne des Thalia Theaters zu sehen ist. Hier sind die Schauspieler:innen gleich in zwei Sprachen zu hören: Griechisch und Deutsch. Mal fügen sich die fremden Worte zu etwas Gemeinsamen zusammen, mal stehen sie in Spannung zueinander. An dieser Stelle hallen plötzlich die Worte der Eröffnungsrede nach: „Our values are being tested.“ Und eine Frage drängt sich auf: Worin können unsere Werte eigentlich bestehen, wenn das Theater verschiedene Sprachen spricht? In der Auswahl der diesjährigen Inszenierungen – einem Nebeneinander verschiedener Theatersprachen – zeichnet sich eine erste Spur ab: Möglicherweise ist es die Unterschiedlichkeit selbst, die wir beschützen müssen. Die Verschiedenheit der Bühnensprachen, die Verschiedenheit der Ästhetiken.

eine darstellende Person im Vordergrund, die ins Mikro spricht, dahinter eine weitere Person

„Who’s there besides foul weather“, Thomas Bernhard Institut – Universität Mozarteum, Salzburg. Foto: Paulo Jamil Sieweck

Die Schönheit theatraler Mehrsprachigkeit

Am zweiten Tag des Programms sitze ich in Henry Schlages „Who’s there besides foul weather“ (Thomas Bernhard Institut – Universität Mozarteum, Salzburg) und schaue dem berühmten König Lear dabei zu, wie er verzweifelt durch die Heide irrt. Die Inszenierung widmet sich dem Shakespeare’schen Stoff und bewegt sich suchend zwischen dem menschlichen Kern der Figur und machtkritischen Systemfragen. Was können wir bei der Auseinandersetzung mit diesem alten Text über den eigenen König in uns lernen? Und welche Sprache lässt sich dafür finden? „Who’s there besides foul weather“ entscheidet sich unter anderem für den Ausflug in eine Naturdoku des Filmemachers Werner Herzog – in das Bild eines stoischen Pinguins, der sich entgegen jeder Logik von seiner Gruppe entfernt, um abseits des Wassers, in den Weiten des Festlands, unbeirrt in den sicheren Tod zu watscheln –, und kehrt doch immer wieder zu dem Shakespeare’schen Text zurück. Nicht immer gehen solche Bilder auf. Doch sie erzählen davon, wie theatrales Denken sogar 400 Jahre alten Stoff immer wieder in Bewegung zu setzen vermag.

vier Darstellende auf einer dunklen Bühne, suchend

„Persephone. Das Wandern“, Bayerische Theaterakademie August Everding, München. Foto: Agnes Wiener

In der darauffolgenden Inszenierung – in Nick Tlustys Master-II-Inszenierung „Persephone. Das Wandern“ (Bayerische Theaterakademie August Everding, München) – verlassen wir die vertraute Sprachlichkeit eines kanonischen Textes. Die ersten Minuten der Inszenierung bewegen sich sogar außerhalb eines etablierten literarischen Systems; in einem Raum verzerrter Laute und suchenden Lichts. Von dort aus kämpfen sich die Performer:innen Schritt für Schritt in die uns bekannte Sprache hinein. Als eine Übersetzung von Persephones zyklischer Bewegung zwischen Welt und Unterwelt tastet die Inszenierung einen Zwischenraum ab, in dem sich so etwas wie schicksalshafte Vorahnungen zu artikulieren beginnen. Mit anderen Worten: Wir folgen einer Bewegung zwischen den Welten. Beinahe so, wie es die Übergänge zwischen diesen ersten vier Inszenierungen vom Publikum verlangen. Als eine Bewegung zwischen den Bühnensprachen, in der die theatrale Resilienz, von der Mleihi in ihrer Eröffnungsrede sprach, ein Gesicht bekommt; und in der sich die Schönheit theatraler Mehrsprachigkeit genüsslich ausbreitet. Eine Schönheit, die wir öfter feiern sollten.