Porträt einer Person, die das Kinn seitlich auf der Hand aufgestützt hat

„Ich mag Sachen, die sich was trauen“

Jonas Dumke startete sein erstes festes Engagement am Theater Aachen mit einem Kleist-Abend, der gleich mehrfach ausgezeichnet wurde. Nach zwei Jahren wartet nun die nächste Station auf den jungen Schauspieler in Köln.

Links trägt Jonas Dumke einen Siegelring mit schwarzem Stein, um den rechten Zeigefinger windet sich eine Silberschlange, und unter dem Ärmel des Rollkragenpullis lugt ein buntes Freundschaftsband hervor. In ein paar Stunden legt der 26-Jährige diesen Teil seiner Persönlichkeit in der Garderobe des Aachener Theaters ab. Er schlüpft in ein weißes Shirt und eine dunkle Hose, rückt den Holzhocker auf der Bühne zurecht und wandelt überschüssige Spannung kurz vor dem Beginn des Solostücks „,ACH!‘ – Ein Kleist-Porträt“ mit Musik auf den Ohren in Bewegung um.

„Vor diesem Auftritt muss ich mich auspowern“, erzählt Jonas Dumke, während er zum Frühstück Joghurt mit Früchten löffelt. Wenn er mit zu viel Energie auf die Bühne geht, kann er sich in das erschöpfte Gemüt seines Protagonisten schwer hineinfühlen. Wir sitzen in einem Café in seiner Heimatstadt Mönchengladbach, wo er die Familie besucht hat. Nicht weit von uns ist das Stadion, dessen Fußballmannschaft den Puls des Schauspielers auch ohne Bewegung in die Höhe treibt. Die Borussia ist seine große Liebe. Aber sie hat in seinem Herzen ein wenig zur Seite rutschen müssen. Denn vor knapp zwei Jahren hat sich Jonas Dumke in einen mehr als 200 Jahre älteren Mann verguckt: Heinrich von Kleist. 

Genauer gesagt war es die Sprache von Kleist, die ihn während des Studiums an der Hochschule der Künste Bern wie ein Blitz traf. Während Geschriebenes im Zeitalter der sozialen Medien gerne in Häppchen serviert wird, hat ihn ein Kleist-Text so heftig gepackt, dass er die Welt um sich herum vergaß. „Du bist dieser Sprache ausgeliefert. Sie ist so absolut und gewaltig!“

Ein Darsteller schwach erleuchtet sitzt auf einem Stuhl mit dem Kopf in den Händen

Jonas Dumke in „‚ACH!‘ – Ein Kleist-Porträt“. Foto: Ben Zurbriggen

Zunächst war es die Musikalität der Kleist’schen Sätze, die ihn fesselte. Dann merkte er, wie sehr ihn auch die Botschaften und die Persönlichkeit des Literaten berühren. Er stürzte sich in die Arbeit. „Ich habe alles über ihn gelesen, das war verrückt!“ Das Wirrwarr an Texten und Briefen knüpfte Jonas Dumke an den roten Faden der Biografie des Autors. Und als er 2023 in Bern die Koffer für sein erstes festes Engagement packte, nahm er dieses Herzensprojekt mit ans Theater Aachen, wo es mit Hilfe von Chefdramaturgin Kerstin Grübmeyer und Mentor Lukas Bangerter reifte und zu etwas Großem heranwuchs.

Herzensprojekt Kleist

Seit dem 26. November 2023 steht „‚ACH!‘ – Ein Kleist-Porträt“ in Aachen auf dem Spielplan. Jeder Auftritt ist für den Solokünstler trotz der kompakten 60 Minuten ein Marathon. Wie er die Worte anfangs mit feiner Artikulation in den Raum haucht und die zunehmende Verzweiflung seiner Figur immer hastiger mit fliehendem Blick und atemlosem Sprechen nachzeichnet, ist faszinierend. Irgendwann steht er mit verschwitztem Haar und hängenden Schultern am Bühnenrand, zitiert mit brüchiger Stimme aus Kleists Briefen und scheint verschmolzen zu sein mit dem Literaten und seinem Lebensschmerz.

Jonas Dumke wurde mit dem Stück im März 2024 zur „Woche junger Schauspieler:innen“ nach Bensheim eingeladen und räumte dort alle Preise ab: Günther-Rühle-Preis, Publikumspreis und Preis der Schüler:innen-Jury. Im Oktober durfte er seine Arbeit bei den Kleist-Festtagen in Frankfurt (Oder) präsentieren, und im November krönte die Kaiserstadt den Schauspieler noch mit dem Aachener Publikumspreis.

Mein Gesprächspartner hat einen Cappuccino mit Hafermilch bestellt. Er lässt den Löffel im Schaum baden und den Blick zur imposanten Decke des Gründerzeitcafés schweifen. „Das ist echt schön hier.“ In einer Ecke steht ein Klavier. Ja, das würde ihn reizen, jetzt in diesem Ambiente einfach so spielen zu können. Als Kind ist er zum Klavierunterricht extra zu spät gekommen. „Wenn du was musst, dann willst du’s nicht“, sagt er und lacht. Jetzt liebt er alles mit Musik. „Sobald es etwas zu singen gibt, bin ich ganz vorne dabei.“

So auch im Musiktheaterstück „Oppenhoff. Mohren. Cohn“, das in der Regie von Florian Fischer am 18. Januar 2025 Premiere am Theater Aachen feierte. Jonas Dumke spielt Josef Mohren, einen Kommunisten, der sich der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten entgegenstemmt. Auch hier beeindruckt der junge Schauspieler mit Ausdrucksstärke. Gefühle wie Zweifel, Mut, Angst, Trotz und Zuversicht sind an seinem ganzen Körper ablesbar. Wenn sich der Widerständler nach einer handgreiflichen politischen Auseinandersetzung in einer Blutlache krümmt, schmerzt das Zusehen. Später singt er mit tiefer Stimme „Gegen die Faschisten hier im Land“, schreitet mit dem Ensemble auf das Publikum zu und scheint jedem Einzelnen mit entschlossenem Blick in die Augen zu schauen.

Keine Angst vor schwieriger Sprache

Szenenwechsel: Auch die Texte von Kleist verpackt Jonas Dumke in Melodien. Wobei – eigentlich lässt er das vielmehr geschehen. Er lockert die Zügel des Textkorsetts, und die Sätze schrauben sich in ihrem eigenen Rhythmus in den Saal des 200 Jahre alten Theaters. „Das ist wie beim Jazz“, beschreibt er die Magie, die sich auf der Bühne zwischen ihm und Kleist entfaltet. „Du fängst an zu spielen, und irgendwann spielt das Instrument dich.“

Vier Darsteller:innen auf einer Bühne

Jonas Dumke, Carolina Braun, Stefanie Rösner, Luc Schneider in „Das Leben ein Clown“. Foto: Annemone Taake

Das Bühnenbild ist karg, um der Sprache Raum zu geben. Die Requisite besteht hauptsächlich aus einem Mikrofon, das von der Decke baumelt, und einem Ball, mit dem Bandwurmsätze auf den Boden geschmettert werden. Den Hocker hat er im Berner Oberland gebraucht gekauft. „Der begleitet mich überallhin.“ Darauf saß Jonas Dumke auch im Bensheimer Parktheater in Hessen, als er bei der „Woche junger Schauspieler:innen“ nicht nur die Jury, sondern auch die Schüler:innen des Kurfürstlichen Gymnasiums beeindruckte, die im Rahmen ihres Projekts „Theaterkritik“ einen eigenen Preis vergeben: einen Schokopokal. „Sein Spiel hat uns sehr berührt und den Tränen nahe gebracht“, lautete ihr Fazit.

Dass er die Jugendlichen mit einem so alten Stoff begeistern konnte, bedeutet Jonas Dumke sehr viel. „Die haben vorher bestimmt gedacht: Oh Mann, nur einer auf der Bühne, eine ganze Stunde lang, und dann auch noch Kleist!“ Der 26-Jährige hat sie mit der Art und Weise überzeugt, wie er Kleists Texte mit Körper, Seele und Stimme in Gefühle übersetzt. „Ich glaube, sie konnten so die Verbindung zu ihrer eigenen Situation ziehen.“ Kleists Hadern mit dem Leben, seine Suche nach dem Sinn, nach sich selbst und nach der Liebe, all das bewege auch die „Generation Z“. Und offenbar kaufen sie das einem wie ihm, der nicht viel älter ist und vielleicht ähnliche Gedanken, Empfindungen und Probleme hat, einfacher ab als einem, der altersmäßig ihr Vater sein könnte.

Jonas Dumke will mit seinem Stück auch zeigen, dass niemand Angst vor schwierigen Texten haben muss. „Leute, wenn ihr ins Theater geht, dann müsst ihr nicht den Anspruch haben, alles zu verstehen“, meint er. Kleists Dilemma, das auf der Aachener Bühne in einem Selbstmord gipfelt, den der Schauspieler in grandioser Zeitlupe zelebriert, kann man fühlen. „Ich habe Freunde, die kein Deutsch können und trotzdem total berührt von dem Stück waren.“

Theater ist Gemeinschaft

Dass die Institution Theater auf manche abschreckend wirkt, kann Jonas Dumke verstehen. Selbst er als Schauspieler fremdelt manchmal. „Du kommst voller Energie aus der Ausbildung und denkst, jetzt kannst du Neues verwirklichen. Aber dann hast du da diese alten Strukturen.“ Und schwups sei man drin in der Maschinerie. „Du versuchst zu verstehen, was dieser Beruf bedeutet, was die Regie will und was das Publikum möchte. Du hast nur sechs Wochen vom Probenstart bis zur Premiere. Und du vergisst, dich selbst zu sehen und wie du eigentlich arbeiten möchtest.“

Dabei weiß er sehr genau, was er will. „Ich mag Sachen, die sich was trauen und die einen Theaterapparat an die Grenzen bringen.“ Außerdem liebt er echte Gemeinschaftsprojekte, bei denen alle Gewerke gleich wichtig sind. „Egal ob Schauspieler, Technik oder Putzpersonal, nur wenn wir alle Bock haben, wird es richtig gut.“

Zu seinen liebsten Inszenierungen in Aachen gehören neben „Oppenhoff. Mohren. Cohn“ das ironische Rap-Spektakel „House of Karls“ vom Theaterkollektiv Dlé und die schräge Komödie „Lady Tartuffe“ des Regie- und Autorenduos Stuhler/Koslowski. Und natürlich Kleist.

Wenn er sein kräftezehrendes Solo am Abend nach unserem Interview gestemmt hat, dann ist Jonas Dumke so erschöpft und zufrieden wie nach einer gewonnenen Partie des Handballvereins PSV Aachen, wo er sich regelmäßig den Kopf freispielt. Der Vergleich mit dem Sport gefällt ihm auch bei seinen Zukunftsvisionen. Irgendwann wäre er gerne so eine Art Spielertrainer am Theater. Er hätte den Hut auf und trotzdem ein Kostüm an: Gestalter und Mitspieler.

Jetzt möchte er erst mal wild und waghalsig sein. Vor einiger Zeit war Jonas Dumke bei einem Vorsprechen. Als der Intendant, der sich sein neues Ensemble zusammenstellte, ein Lieblingslied des Bewerbers hören wollte, zögerte er nicht und stimmte die Fußballhymne der Gladbacher Borussia an. Mut und Authentizität wurden belohnt: Der Intendant war Kay Voges, der zur Spielzeit 2025/26 an das Schauspiel Köln wechselt. Jonas Dumke kommt mit.

Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr. 2/2025.