Die Eröffnung des Theatertreffens am 12. Mai

Festival in Schieflage – Resümee zum Theatertreffen

Neue Intendanz der Berliner Festspiele, neue Festivalleitung beim Berliner Theatertreffen. Das Theater und die „zehn bemerkenswerten Inszenierungen“ werden an den Rand gedrängt; es dominiert ein aktivistisches Rahmenprogramm zum Krieg gegen die Ukraine. Eine besorgte Bilanz.

Nicht, dass man sich auf Eröffnungsreden ungeheuer freuen würde. Aber wenn eine neue Intendanz mit neuem Leitungsteam antritt, dann ist es schon verwunderlich, wenn die vier beim ersten Kontakt mit dem Publikum so gar nichts zu sagen haben. Außer: danke, danke, danke! Ungläubig klingen die ersten Presseberichte, denn selbst den blühenden Kastanien wird bei der Eröffnung gedankt. Worte zur neuen Ausrichtung mit internationalen Gastspielen, Gedanken zum Theater in schwierigen Zeiten? Fehlanzeige. Eine intellektuelle Durststrecke.

Schräge Eröffnung

Wohin die Reise mit dem Intendanten Matthias Pees geht, darüber konnte man am Eröffnungsabend noch mehr ins Grübeln geraten. Sieben Stunden Theater vom Münchner Residenztheater waren für den Auftakt programmiert worden: „Das Vermächtnis“ wird gerühmt, ähnlich wie eine Netflix-Serie zu funktionieren. „Wie war’s?“, interviewt eine Radioreporterin Pees danach. „Ein ganz toller Abend. Ich musste mir die Tränen aus den Augen wischen – fast wie Kino!“ Fast wie Kino also. Als könnte es nichts Größeres fürs Theater geben als dem Film nachzueifern. Hat sich da womöglich jemand im Festival geirrt?

Die drei Kuratorinnen des Theatertreffens: Olena Apchel, Joanna Nuckowska und Carolin Hochleichter (v.ln.r.) bei der Eröffnung. Foto: Fabian Schellhorn

Beides, der Dank an die Kastanien und ans Kino, sind mehr als Anekdoten. Der Eindruck, dass fürs Theatertreffen neuerdings Menschen zuständig sind, die ein ganz anderes Festival etablieren möchten, verstärkt sich beim Besuch des Rahmenprogramms. Dort kuratieren Olena Apchel, Joanna Nuckowska und Carolin Hochleichter ein Parallelfestival mit dem Titel „10 Treffen“. Die Inszenierungen von ukrainischen Künstler:innen, die unter dem Label „Solidarity-Treffen“ und „Responsibility-Treffen“ eingeladen sind, agieren dabei mit aggressivem Aktivismus, statt künstlerisch zu überzeugen.

Isolierter Austausch über Ukraine und Russland

Der Regisseur Andriy May etwa schleudert dem Publikum in seiner Performance „Putinprozess“ vom Kölner Theater der Keller minutenlang Putins Kriegserklärung an die Ukraine entgegen – als hörten wir in Deutschland zum ersten Mal von der russischen Invasion. Es folgt eine Tschechow-Interpretation, bei der die ukrainische Schauspielerin vergewaltigt wird und Möwenschreie ausstößt. Im Anschluss spielt das Ensemble auf der Bühne Publikumsgespräch und erklärt, viele Menschen dächten zwar, russische Kultur sei das Eine und was in der Welt passiert, das Andere, aber: „Die Menschen, die heute Kriege führen, sind mit der Literatur Tschechows aufgewachsen. Das ist Propaganda. Und diese Kultur, diese Literatur vergewaltigt die Welt.“

Ein Gastspiel aus der Ukraine: „FebrUaRY“ vom Teatr Varta aus Lviv. Foto: Aleko Gotscheff

Unterkomplexer wurde diese Haltung wohl noch nie formuliert. Und das ist nicht nur die Meinung einer Bühnenfigur, ähnliches hatte der Regisseur schon bei der Pressekonferenz vor Festivalbeginn geäußert und die Frage gestellt, warum die Deutschen an Tschechow, Gorki und Dostojewski festhielten, wo die Kultur doch Teil von Putins Propaganda-Maschinerie sei. Im „Bunker Cabaret“ der Hooligan Art Community wird ein sarkastischer Song mit ähnlicher Kritik gesungen: „Russische Kultur, das ist Tschaikowsky, Dostojewski und Tolstoi. Russische Kultur – das ist Putin.“

Es ist ein kommunikatives Desaster, dass dieser Kultur-Clash nicht vom Festivalteam eingeordnet oder breit und öffentlich diskutiert wird. Die ukrainischen Künstler:innen und Aktivist:innen sprechen auf vielen Panels ganz unter sich über russischen Imperialismus und Kolonialismus, wie in einer Parallelwelt: hier das Theater – dort der Krieg. Obwohl mit der Einladung von Gorkis „Kinder der Sonne“ vom Schauspielhaus Bochum als eine der bemerkenswerten Inszenierungen die Verbindung auf der Hand läge. Und der junge Schauspieler Dominik Dos-Reis, der den unglücklich verliebten Tierarzt in diesem Gorki-Drama spielt, am Festivalende von Edgar Selge (zu Recht!) auch noch mit dem Alfred-Kerr-Darsteller:innenpreis ausgezeichnet wird.

Kerr-Preisträger Dominik Dos-Reis in „Kinder der Sonne“ vom Schauspielhaus Bochum. Foto: Matthias Horn

Die Einladung von Ibsens feministischer Ikone „Nora“ von den Münchner Kammerspielen im Hauptprogramm hätte sich zudem leicht mit dem „Transfeminist-Treffen“ im Rahmenprogramm verzahnen lassen. Zumindest theoretisch. Denn was dann praktisch bei der sogenannten „Dinner Party“ der tschechischen Gruppe „Mothers Artlovers“ aufgefahren wird, ist beim besten Willen nicht mit Kunst verknüpfbar.

Höhe- bzw. Tiefpunkt: Eine nackte Frau drückt die Honigflasche über ihrem Körper aus, streut Schokosplitter darüber und verlangt eine Umarmung. Dann drückt sie ihren nackten Hintern auf einen Stuhl mit Zuckerwürfeln, deren Einzelteile beim Aufstehen in der Poritze hängen bleiben und sagt: „I have crashed the institution!“ Falls das ein befreiender Akt sein soll, sind die Performer:innen 50 Jahre zu spät dran. Man könnte ungläubig Tränen lachen, wäre es nicht so traurig, dass für solche Fremdschämnummern der einst renommierte Stückemarkt abgeschafft worden ist.

Katharina Bach in „Nora“ von den Münchner Kammerspielen, eine der zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen. Foto: Armin Smailovic

Und so wirkt das Festival mit seinem aktivistischen Rahmenprogramm in ähnlicher Schräglage wie Noras Haus in Felicitas Bruckers Inszenierung. Das Haus steht auf der Bühne mitunter Kopf. Wie das Festival. Nicht mal ein Drittel der 65 Veranstaltungen haben mit dem Herzstück, den bemerkenswerten Inszenierungen der Saison zu tun. Die Auswahlkriterien des Rahmenprogramms bleiben nebulös.

Matthias Pees nutzt sein Grußwort bei der Verleihung des Kerr-Preises am Ende des Festivals, um öffentlich Fehler einzuräumen und gleichzeitig die osteuropäische Ausrichtung zu verteidigen: „Manches im neuen Begleitprogramm der ,10 Treffen’ mag in diesem Jahr noch nicht richtig justiert und formatiert und positioniert und vermittelt gewesen sein und ist also verbesserungswürdig. Das sehen wir im Team vermutlich ähnlich wie auch manche kritischen Beobachter:innen und Besucher:innen. Aber dass auch diese Kolleg:innen und Schauspieler:innen hier sein konnten (…), das war und ist eben auch ein wichtiger Schritt zur Konstitution einer erweiterten Gemeinschaft.“

Zehn isolierte Inszenierungen

Über Theater, über die zehn Inszenierungen und deren Aufprall aufs Berliner Publikum wird abseits der obligatorischen Publikumsgespräche kaum diskutiert. Bezeichnend und traurig, dass die Jurydiskussion am allerletzten Festivaltag die einzige Chance bietet, junge Festivalbeobachterinnen (vom Blog und dem „Internationalen Forum“ des Festivals) mit den Juror:innen über die Kunst ins Gespräch zu bringen.

Das ist insofern unklug, als dass das Theatertreffen sein 60-jähriges Überleben aus genau diesem Kern heraus gesichert hat: zehn deutschsprachige Inszenierungen, von Kritiker:innen ausgewählt, die eben diesen dann in Berlin vom Publikum und den Kritikerkolleg:innen um die Ohren gehauen oder bejubelt werden. Eine der seltenen Chancen im Jahr, in Berlin über Theater, Kritik, Publikum und ästhetische Bewertungen öffentlich zu diskutieren. Doch die neue Leitung marginalisiert diesen Austausch, so wie er auch in den Feuilletons zurückgedrängt wird. Wird das Theatertreffen bald ein beliebiges internationales, kuratiertes Festival mit ein bisschen „Critic’s Choice Awards“ am Rand? Man muss sich um die Zukunft des Theatertreffens ernstlich Sorgen machen.