Foto: Szene aus der neuen „Fidelio”-Inszenierung von Nikolaus Habjan © Werner Kmetitsch
Text:Roberto Becker, am 17. Dezember 2025
An der Wiener Staatsoper löst ein neuer „Fidelio” die 55 Jahre alte Otto-Schenk-Inszenierung ab. Regisseur Nikolaus Habjan arbeitet wie gewohnt mit Puppen-Doubles, doch die Stars des Abends sind Franz Welser-Möst und das Orchester der Staatsoper.
Am Ende öffnen sich die Gefängnismauern wie ein riesiges Tor und der Jubel, der von der Rampe aus den Saal der Wiener Staatsoper flutet, steigert sich ins Hymnische. Nicht nur, weil das Eintreffen des Ministers Don Fernando wie ein Deus ex Machina jede Ungerechtigkeit verbannt, allen Gefangenen die Freiheit bringt und er seinen totgeglaubten Florestan wieder in die Arme von dessen Gattin Leonore führen kann. Hier wird Ludwig van Beethovens einzige Oper tatsächlich auch auf der trist deprimierenden Bühne von Julius Theodor Semmelmann zum Musik gewordenen Statement für das Verlangen nach Freiheit, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit. Zwischen den beiden Mauerflügeln kommt da eine überlebensgroße Leonoren-Statue zum Vorschein, die mit erhobenen Händen abzuwehren scheint, was man mit ihr verbindet.
Tableau-Formation des Chores
Damit bringt Nikolaus Habjan diese musikalisch so geniale wie auch szenisch sonderbare Oper und seine Inszenierung auf den Punkt und liefert immerhin ein Fragezeichen zu einer klischeehaft dick aufgetragenen Heldinnen-Verherrlichung mit. Wobei man es sich auch erst mal trauen muss, die Chormassen in so erstarrter Tableau-Formation an der Rampe zu postieren.
Dass es bei Habjan auch in einer Operninszenierung Puppen und damit ein Spiel mit den verschiedenen Facetten von Figuren geben würde, war klar. Dass er Leonore, die ja im Stück so überzeugend einen Mann spielt, dass sich Marzelline in ihn verliebt, mit einem Puppen-Alter-Ego verdoppeln würde, war von vornherein klar. Wenn sich die vor allem auf vokale Schönheit bedachte Sängerin der Leonore Malin Byström dann immer wieder von der ihr ähnlichen, von zwei Puppenspielern geführten Klappmaulpuppe löst, und sozusagen von innen singend von außen auf sich blickt, sich gar selbst tröstet oder ermutigt, dann kann man diesem Ansatz durchaus folgen. Wobei die gelegentlichen Playbackversuche der Puppe ziemlich albern wirken.
Dass Habjan auch seinem schlank und strahlend singenden Florestan David Butt Philip ein Puppen-Alter-Ego verpasste, mag zwar mit der frappierenden Differenz zwischen dem ungebrochenen, sich nach Freiheit und Leonore sehnenden Innenleben und der äußeren Erscheinung des fast zu Tode gehungerten in der Finsternis einer verborgenen Zisterne Gefangenen begründbar sein, szenisch bleibt es fragwürdig. Die Florestan-Puppe würde auch als Jochanaan in der Zisterne durchgehen.
Das Markenzeichen des Regisseurs als zentrale Inszenierungsidee in einer ansonsten eher statischen, nach dem Baukastenprinzip abgespulten Szenenfolge ist dann doch etwas enttäuschend. Immerhin löst er eine Otto-Schenk-Inszenierung ab, die in Wien ganze 55 Jahre auf dem Spielplan stand und es auf über 270 Vorstellungen brachte! Nachvollziehbaren, wenn auch dezenten Interpretationsehrgeiz entwickelt Habjan immerhin bei Rocco und Jaquino. Der wohlartikulierende Tareq Nazmi ist ein Kerkermeister, der in seinem spießig kleinbürgerlichen Wohnzimmer an allen möglichen Stellen das Gold versteckt, das er den Gefangenen abgenommen hat, die es ja eh nicht mehr brauchen, wie es in der vorsichtig modernisierenden Textbearbeitung von Paulus Hochgatterer so enthüllend heißt.
Bei Daniel Jenz ist auch Jaquino ein moralischer Pragmatiker, der sich immer hinter die gerade Mächtigen stellt. Am Ende steht er auffällig dicht hinter dem Minister (Simonas Strazdas) und lässt seinen bis dahin am Revers getragenen „Betriebsausweis“ wie nebenbei in der Tasche verschwinden, als sich das Regime im Gefängnis öffentlichkeitswirksam ändert oder man zumindest so tut. Dass sich Marzelline (Kathrin Zukowski) von ihm ab und Fidelio zuwendet, wird immerhin nachvollziehbar, weil Jaquino bei seiner Werbung um die Tochter seines Vorgesetzten ziemlich aggressiv gegen deren Nein hält. Ob und wie es mit den beiden weitergehen könnte, interessiert am Ende weder Jaquino noch den Regisseur wirklich.
Franz Welser-Möst als Star des Abends
Im Quartett „Mir ist so wunderbar“ finden die Stimmen auf betörende Weise zusammen, was die betonbrutal wirkende Gefängnismauer vor der sie singen begünstigt haben dürfte. Dem mehr an einen Bürokraten als einen Erzschurken erinnernden Don Pizarro verpasst Christopher Maltman beeindruckend stimmliches Format. Erstaunlicherweise wurde die verhaltene, weniger originell als vielmehr statisch wirkende Inszenierung vom Publikum akzeptiert und die vokale Ensembleleistung der Protagonisten und des Chores gewürdigt. Der Star des Abends waren aber Franz Welser-Möst und das Orchester der Staatsoper. Als er, wie in Wien sein Gustav Mahler üblich, die dritte Leonoren Ouvertüre pur vor die Schlussszene setzte, war der Jubel für ihn schon da besonders groß.