Theater zwischen Trauer und Trauma
Foto: Demonstration neben dem Theater Magdeburg gegen das geplante Theaterstück „3 Minuten”, das den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt im Dezember 2024 aufgreifen soll. © dpa Text:Erik Zielke, am 2. Dezember 2025
Am Theater Magdeburg wollen Sebastian Nübling und Kevin Rittberger den tödlichen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt der Stadt künstlerisch bearbeiten, die Premiere ist für Mai 2026 geplant. Doch es formiert sich Protest, der am 9. November mit einer „Mahnwache” vor dem Theater begann.
„Ein starkes Theater braucht eine starke Nationalidentität!“ So war vor gut acht Jahren eine Presseaussendung von Hans-Thomas Tillschneider überschrieben, Mitglied der AfD-Fraktion im sachsen-anhaltischen Landtag und deren kulturpolitischer Sprecher. „Grundlage und Ausgangspunkt jeder Kulturförderung muss […] ein selbstbewusstes Bekenntnis zur deutschen Identität sein, wie es allein die AfD vertritt“, heißt es darin. Die Stoßrichtung ist eindeutig. Über die letzten Jahre konnte man verfolgen, wie die Bühnen immer wieder zur Zielscheibe rechter Populisten geworden sind.
Aber die AfD steht nicht allein in diesem Kampf. Verschiedene politische Vorfeldorganisationen und „besorgte Bürger“, die sich für die Sache der rechten Kunstfeinde einspannen lassen, machen gemeinsam mit der Partei Stimmung. Das bekommt derzeit auch das Theater Magdeburg deutlich zu spüren.
Künstlerische Verarbeitung des Weihnachtsmarkt-Attentats
Was ist geschehen? Mit der Spielzeitpressekonferenz im Mai 2025 wurde der Öffentlichkeit bekannt, dass das Magdeburger Schauspielhaus mit einem Stück den tödlichen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt der Stadt künstlerisch bearbeiten wird. Als Regisseur hat man Sebastian Nübling gewonnen. Kevin Rittberger soll den zugrunde liegenden Text in einem Rechercheverfahren verfassen.
Monate später formiert sich Widerstand. Eine „Mahnwache“, die sich gegen das Vorhaben des Theaters wehrt, wird am 9. November abgehalten. Ein historisch aufgeladenes Datum – das dürfte kein Zufall sein. Rund 100 Demonstranten, eine überschaubare Menge, sind zusammengekommen, aber sie beweisen Beharrlichkeit: Etwa sechs Stunden tun sie ihren Unmut kund, postieren sich zunächst vor der Oper, wo die Operette „Clivia“ Premiere feiert, und ziehen zum Schauspiel, wo anlässlich des Jahrestags der Reichspogromnacht Texte von Victor Klemperer gelesen werden.
Angemeldet wurde die „Mahnwache“ von Denny Zenker, der auf der Social-Media-Plattform TikTok mit mehr als 28 000 Followern über eine gewisse Reichweite verfügt, der bereits an anderen Aufmärschen, teils mit eindeutig reaktionärer Ausrichtung, beteiligt war und zum Umfeld des rechten Protestbündnisses „Gemeinsam für Deutschland“ gehört. Folgerichtig waren auch am 9. November Akteure der extremen Rechten lautstark vertreten. Mittlerweile hat das Theater ein Statement veröffentlicht, in dem es sich nicht gegen Kritik verwahrt, aber die rechte Ideologie dahinter deutlich benennt.
„Vermutlich ist das einzigartig in der Theatergeschichte, dass, sieben Monate bevor ein Stück herauskommt, dagegen demonstriert wird.“ So formuliert es Bastian Lomsché, Teil der dreiköpfigen Schauspieldirektion, im Gespräch. Dabei ist das Theater, so wirkt es von außen, sehr behutsam vorgegangen. Am Tag des Anschlags habe man die laufende Vorstellung abgebrochen, die Theaterräume für eine Pressekonferenz zur Verfügung gestellt. Eine unmittelbare künstlerische Reaktion habe man nicht erwogen, so Lomsché. Aber nun wolle man eben doch mit den Mitteln des Theaters das, was eine Wunde in diese Stadt gerissen hat, „be- und verarbeiten“, wie er es ausdrückt. „Kunst darf erst einmal alles“, betont er und setzt umgehend hinterher: „Uns liegt nichts ferner, als in Traumata zu wühlen.“
Der Arbeitstitel fliege ihnen derzeit um die Ohren. „Vielleicht nicht zu Unrecht“, räumt er ein. Unter dem Namen „Drei Minuten“, der womöglich falsche Erwartungen weckt, ist das Stück angekündigt. Kein Reenactment wird auf die Bühne kommen, keine Tätergeschichte erzählt.
Spagar zwischen Trauer und Trauma
Wer Kevin Rittberger kennt, weiß, dass der psychologische Realismus nicht seine Sache ist. Er geht in seinem Stück, das derzeit noch entsteht, von den Folgen für Magdeburg aus, nicht von dem Anschlag selbst. Dabei suche er den Spagat zwischen einer „Bezeugung von Trauer und Trauma“ und einem „Respekt vor dem Unaussprechlichen“, wie er sagt.
Der „Mahnwachen“-Initiator Zenker hat eine Petition gestartet, um die Inszenierung zu verhindern. Eine zweite Petition mit demselben Ziel, aber ohne rechte Schlagseite, wurde von der Mutter eines Anschlagsopfers auf den Weg gebracht. Was beide Petitionen eint, ist zum einen der Vorwurf, das Theater mache Profit auf Kosten der Opfer. Zum anderen wird in beiden Fällen unterstellt, es handele sich um ein pietätloses Vorgehen.
Aber wie bewahrt man als Autor Pietät? „Ich versuche, traumasensibel vorzugehen – in der Art, wie ich mit Menschen spreche und wie ich Gesprächsangebote mache. Ich versuche Menschen durch diese schwere Zeit zu begleiten. Das betrifft die Recherche. Und beim Schreiben versuche ich, Regie und Spielenden etwas zu übergeben, das keine Identifikation nahelegt. Ich schreibe nicht figürlich, sondern erstelle eine Stimmenpartitur. Es geht nicht um die Wiederholung oder Verkörperlichung des Anschlags“, beschreibt Rittberger.
Die „Mahnwache“ im November könnte dennoch nur der Anfang gewesen sein. Bis zur Premiere im Mai 2026, die zu verhindern einige fest entschlossen scheinen, ist noch viel Zeit. Aber die Drohkulisse, die bereits jetzt aufgebaut wurde, ist riesig. Der Prozess gegen Taleb al-Abdulmohsen, der das Fahrzeug auf den Weihnachtsmarkt gesteuert hat, wird sich noch über mehrere Monate ziehen und könnte den Protesten weiteren Auftrieb verleihen. Hinzu kommt die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im September 2026. Davon, dass die AfD die Debatte um das Theater im Wahlkampf für eigene Zwecke ausnutzen wird, ist leider auszugehen.
Hier lesen Sie das Statement des Theaters zu den Geschehnissen am 09.11.2025.