Porträt Ioannis Mandafounis

Großmeister der Improvisation

In „Join“ lässt er Profis mit Studierenden tanzen, choreografische Entscheidungen fallen bei ihm im jeweiligen Moment – der Choreograf Ioannis Mandafounis, seit der Spielzeit 2023/24 Leiter der Dresden Frankfurt Dance Company, hat ein neues Kapitel Tanz aufgeschlagen.

Der Choreograf muss grinsen über die Decke auf seinen Schultern, als er das Videotelefonat anschaltet. Das sei nicht seine Wohnung. Ein winziges Öfchen heize das Zimmer, und „es schneit draußen“. Unerwartet für Paris, wo Ioannis Mandafounis gerade vier Wochen lang im Konservatorium arbeitet. Nicht nur lokalisiert sich die Dresden Frankfurt Dance Company, kurz DFDC, in zwei Städten. Dazu machte ihr neuer künstlerischer Leiter ein Stück, das er pro Ort neu einstudiert, weil er Studierende integriert.

Flexibilität und Vernetzung

„Join“ verbandelte sich, passend zum Titel, für die Premiere im September mit der Palucca Hochschule für Tanz Dresden, danach mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main, nun Paris, demnächst London. Mandafounis kennt Paris noch vom Studium. In diesem Conservatoire National Supérieur de Paris absolvierte der 1981 geborene Grieche seinen Master. Der besteht aus dem Tanzen in einer Junior-Company, learning on the job. Als Profi tanzte er im Ballett der GöteborgsOperan, im Nederlands Dans Theater 2 und von 2005 bis 2009 bei der Forsythe Company in Frankfurt am Main.

Parallel baute er seine eigene Company in Griechenland auf. Auch entwickelte er mit dem Forsythe-Kollegen Fabrice Mazliah Stücke wie „P.A.D.“ im Holzrund, in das die Zuschauenden wie auf Raubtiere herabschauten. Ab 2009 bildeten die beiden mit May Zarhy das Kollektiv MaMaZa, das international tourte. Und für etablierte Tanzcompagnien choreografierte Mandafounis ebenso.

Probefoto von „Join“ von Ioannis Mandafounis. Ein Tänzer liegt auf dem Boden. Eine andere Tänzerin schaut ihn von oben an und berührt ihn am Mund. Im Hintergrund zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer.

Probefoto von „Join“ mit Louella May Hogan, Marina Kladi, Emanuele Piras, Yan Leiva (hinten v. l. n. r.), Solène Schnüriger und Daniel Myers (vorn). Foto: De-Da Productions

Neuer Raum für Bewegung

Die Vorgeschichte der DFDC reicht fast bis in sein Geburtsjahr. 1984/85 übernahm William Forsythe das etwa 40-köpfige Ballett der Städtischen Bühnen in Frankfurt und emanzipierte die Tanzsparte, deren Intendant er wurde. Dem Ballett als Kunst mit Tradition brachte er Power bei, intelligente Schnittigkeit. Ende 2004 war das weltberühmt gewordene Frankfurter Ballett weg, aus Geldmangel. Anfang 2005 erstand eine neue Konstruktion. Forsythe sollte bleiben! Förderer taten sich zusammen: die Stadt Frankfurt am Main, das Land Hessen, die Stadt Dresden und der Freistaat Sachsen; drei Spielzeiten lang war das Schauspielhaus Zürich dabei; dazu Sponsoren. Sie alle finanzierten eine auf 16 Tänzer:innen verkleinerte Company, die fortan in den Städten Frankfurt am Main und Dresden – dort am Festspielhaus Hellerau (siehe S. 54) – residierte.

Mit The Forsythe Company machte der Choreograf andere Stücke als vorher, banal gesagt: experimenteller, anhand von „tasks“, ohne festgelegte Schritte. 2014 gab er die Leitung ab. Neuer Chef wurde 2015, aus Gründen, über die Spekulationen im Umlauf sind, der Choreograf und ehemalige Ballett-Frankfurt-Tänzer Jacopo Godani. Die Company, jetzt mit Zwei-Städte-Namen, fuhr mit seinen Hochleistungsballetten Erfolge ein. Auf Godanis Nachfolge bewarb sich unter anderem Ioannis Mandafounis. Zur Spielzeit 2023/24 trat er an. Das Namensungetüm wird abgekürzt: DFDC. Umso mehr Aktivitäten stemmt das Team. Vernetzen! Rausgehen, um zum Reingehen zu ermuntern.

Fluide Kooperationen

Seit fast 20 Jahren also funktioniert das Partnerkonstrukt. „Wir sind nicht wie ein Stadttheater“, sagt Annika Glose, Kaufmännische Direktorin seit 2019, „mit allem Dafür und Dawider. Sondern wir sind unabhängig.“ Die Kooperationsvereinbarung werde alle paar Jahre unter den Partnern neu geschlossen, hinzu komme ein Trägerverein. So ein Vertrag laufe mal zwei Jahre lang, „schwierig für uns“, mal länger; der jetzige immerhin fünf Jahre. Notwendig, um Neues aufbauen zu können.

Sie versuchten auch, sagt Glose, „andere Player der Tanzszene“ zu unterstützen, die von Kürzungen betroffen sind. Füreinander da zu sein, offene Türen, einladende Gesten, das sind Merkmale dieser neu aufgestellten DFDC, was sich im Programm mit Workshops, Familien-Events, wechselndem Morgentraining zeigt, das offen für alle Tanzprofis und manchmal auch für die Büromitarbeiter:innen ist. Für den „outreach“ sorgt Glose, alles in enger Abstimmung mit Mandafounis, erklärt sie. Arbeitsort der DFDC ist Frankfurt am Main: mit 15 bis 16 Tänzer:innen, insgesamt 30 Mitarbeiter:innen, einige in Teilzeit, einer Auszubildenden, einer FSJ-lerin.

Probensaal im Gallus-Viertel

Im Viertel Gallus, neben Edelautohäusern und Aldi, im Komplex Kommunikationsfabrik, einer ehemaligen Druckerei, steckt auch das Frankfurt Lab mit zwei bühnenfähigen Studios, die sich fünf Kulturinstitutionen teilen, darunter die DFDC. Diese hat auch einen eigenen Probensaal. Den lobt Mandafounis: „So etwas findet man nirgendwo sonst!“ Früher, als er im Frankfurter Mousonturm arbeitete, später in Genf im Grütli, mochte er die Studios. Aber jetzt von Anfang an „das theatrale Setting“, also alle Distanzen zur Verfügung zu haben sei „ein Luxus“.

Im ersten Stock sind die Büros plus Küche, im Gang Poster mit Knäueln der Tänzer:innen. In dem zum Ministudio umgebauten (also mit Tanzboden belegten) Meetingraum entwickelte Mandafounis ein Duett für das nächste Stück, „Frida“, während unten anderes geprobt wurde. Ansonsten ist das Team nicht froh über das ungedämmte Gebäude: „Im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt.“ In schöner Zukunft zieht die Company auf den Kulturcampus Bockenheim. Seit 2010 wird der geplant und gewünscht und nicht gebaut.

Frankfurt – Dresden

Was die DFDC „nach außen zeigt, findet in beiden Städten gleichwertig statt“, erklärt Glose, „die gleiche Anzahl an Vorstellungen, an Workshops, Engagements mit Schulen und so weiter“. Obwohl manches schwierig zu realisieren sei. „Die Company fährt dreimal im Jahr für die Aufführungen nach Dresden“, wo auch zwei Teilzeitkräfte „für mehr Sichtbarkeit und Vernetzung in der Stadt sorgen“. Je acht Auftrittstermine in Dresden und in Frankfurt am Main, dort im Bockenheimer Depot und – wie zu Ballett-Frankfurt-Zeiten – im Schauspielhaus.

„À la carte“ von Ioannis Mandafounis der Dresden Frankfurt Dance Company. Eine Tänzerin und ein Tänzer mit starkem Ausdruck.

Nastia Ivanova und Samuel Young-Wright in „À la carte“ von Ioannis Mandafounis der Dresden Frankfurt Dance Company. Foto: Dominik Mentzos

Auch gab’s am Main schon getanzte Museumsführungen und im Oktober Mandafounis’ „One One One“ von 2015. Diesmal an mehreren Orten gleichzeitig, Bibliotheks- und Hochschulfoyer, U-Bahn-Station – gleichwertig mit DFDC-Profis, Studierenden, fortgeschrittenen Amateur:innen bestückt. Wer als Zuschauer:in auf einem der zwei Stühle sitzt, wird von einer Person betanzt, eins zu eins, im Augenkontakt. Das Statische bindet sich an ein energetisches Spratzeln, als entdecke oder wecke das tanzende Wesen im Innern des Sitzenden Abenteuer und fabuliere wortlos von Funken, Wirbeln, Witzen, Spannungen und Lösungen.

Kunst des Augenblicks

Das ähnelt dem Grundprinzip der Bühnenstücke: „Ich will ja immer diese Vierte Wand brechen“, sagt Mandafounis. Und der Tanz entsteht in und aus dem Augenblick, „live choreography“, er bezieht das Innen aufs Außen und umgekehrt. Manchmal sprechen oder singen die Tänzer:innen auch.

Den Bezug zu Orten bildeten für ihn immer die Menschen, die kommen, „um zu sehen, was du mit ihnen zu teilen fähig bist“, sagt der Choreograf. Neugierig seien alle, doch drückten sie das in den beiden Städten unterschiedlich aus, fühlbar als „Energie in der Luft“. Warum die Vierte Wand öffnen? „Das ist für mich sehr wichtig für die Kommunikation. So braucht die Ästhetik keine große Rolle zu spielen. Ich lenke den Fokus auf etwas anderes.“

Methode der Unmittelbarkeit

Vor 15 Jahren begann Mandafounis eine Methode zu entwickeln, die Unmittelbarkeit übt und perfektioniert. Er begeisterte sich für eine japanische Kampfkunst und wollte deren Trainingsprinzipien auf den Tanz anwenden, eine Wachheit aller Sinne samt Emotionen, bereit zur Verteidigung des Lebens gegen Feindesangriffe. Auch wollte er die Prozesse der Proben von und mit Tänzer:innen nicht länger dem einen choreografischen Resultat in Dienst stellen. Wie ließe sich die Lücke zwischen Probieren, Entwickeln, Werden und dem Bühnenstück schließen?

Mit kunstvoller (von Können) Rohheit im Rahmen einer Gesamtdramaturgie. Dabei müsse er eben die Ästhetik den Tänzer:innen überlassen. Er bewerte nur, ob alles „funktioniert“, zusammengeht. Die je zwei Gastchoreograf:innen pro Spielzeit arbeiten auch nicht klassisch. Stücke für junges Publikum komplettieren den Spielplan. Bei Gastspielreisen trägt die DFDC die Städtenamen in die Welt und spielt Geld ein. Das fordern die Förderer, laut Glose. Schon das muntere „À la carte“, die erste Produktion, wurde für den FAUST-Preis nominiert. Sie kommt an, diese Tanzkommunikation als Lust an der haltlosen Gegenwart.

Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr.1/2025.