Eine Person mit ausgestreckten Armen mit befestigten zweigen auf einem Grab, dahinter der Chor

Gegen den Führungskult

Richard Wagner: Lohengrin

Theater:Badisches Staatstheater Karlsruhe, Premiere:16.11.2025Regie:Manuel SchmittMusikalische Leitung:Georg FritzschKomponist(in):Richard Wagner

Am Badischen Staatstheater Karlsruhe legt Manuel Schmitt den Fokus seiner „Lohengrin”-Inszenierung auf die Entzauberung des Richard Wagner-Mythos und die Gefahren autoritärer Herrschafts- und Gehorsamsstrukturen. Ein symbolstarkes Bühnenbild, ein tolles Ensemble sowie Orchester machen den Abend zum Erlebnis.

Kurzes Spotlight: Ein Mann steht einsam an einem Grab. Diese Szene stellt Schmitt der Inszenierung voran. Das massige Grab – es könnte das des Herzogs von Brabant sein, gleicht aber ganz offensichtlich Wagners Grabstätte im Park der Villa Wahnfried in Bayreuth – bleibt den ganzen Abend Mittelpunkt des Bühnenbilds von Julius Theodor Semmelmann.

Wer ist eigentlich dieser Schwan? Die Bezauberung dieser Figur ist ein Schlüsselpunkt des Wagner-Gral-Mythos, bei dem der Komponist in „Lohengrin“ Real-Historisches mit germanisch-mythischer Fiktion verbindet. Gottfried (Philip Hohner) ist hier weniger ein strahlender Schwan als ein leidend sich krümmendes Wesen mit Holzflügeln (Kostüm: Carola Volles), die er alles andere als elegant ausbreiten kann.

Ein Ensemble auf der dunklen Bühne, ein helles Licht strahlt aus ihrer Mitte

Mirko Roschkowski, Phillip Hohner, Staatsopernchor, Extrachor, Statisterie. Foto: Felix Grünschloß

Die Gefahren autoritärer Machtstrukturen und von blindem Gehorsam stellt Manuel Schmitt in Karlsruhe in den Mittelpunkt. „Das Heilige ist allein der freie Mensch, und nichts Höheres ist denn er. Vernichtet sei der Wahn, der einem Gewalt gibt über Millionen.“ (aus „Revolution“ von 1849) – diese Worte Wagners werden zu Beginn auf den Vorhang projiziert.

Die Masse macht Lohengrin zur Lichtgestalt und besingt genauso auch Elsa zur reinen Unschuldsperson. Elsa selbst – Pauliina Linnosaari als nuanciert-klar singende, zigarettenrauchende, emanzipierte Person – will sich nicht in die ihr zugedachte Rolle der Mutter und Ehefrau fügen. Die Anklageschrift über den vorgeworfenen Brudermord liest sie erstmal gründlich durch. Kammersänger Tomohiro Takada sorgt in der im (Gottes-)Gerichtssaal spielenden Szene mit gebührend dröhnendem Bariton derweil lustig-herumwuselnd als Heerrufer für Ordnung. Denn der König – mit klarer Linienführung dargestellt von Kammersänger Konstantin Gorny – schwächelt als schon etwas senil gewordener Anführer. Bald mischen sich Männer mit Armbinden unter das Volk, durchspitzeln die Gerichtsunterlagen. Alles unter dem Auge einer aufgestellten gewaltigen Adler-Plastik.

Aus dem Publikum erwählt

Mit einer Spiegelscheibe erwählt der Schwan mit einem Lichtstrahl den Helden Lohengrin aus dem Publikum – ein Lob geht in dieser Inszenierung nicht nur an dieser Stelle an die Lichttechnik. Unter den Zuschauer:innen sitzt Mirko Roschkowski als gralsgesandter Erretter Elsas. Er ist „eine:r von uns“. Ohne recht zu wissen, wie ihm geschieht, fügt er sich erst etwas hilflos, dann aber immer freiwilliger in die Helden-Rolle.

zwei sich mit Schwertern duellierende Männer auf einer Bühne

Mirko Roschkowski, Kihun Yoon, Tomohiro Takada, Staatsopernchor, Extrachor, Badische Staatskapelle. Foto: Felix Grünschloß

Schmitt legt die Figuren auf dem Spektrum komplexer Persönlichkeiten vielschichtig an. Die wenig antiquierte Frage um eine Herrschaftsfolge und vergeltungssinnende Motive von Ortrud und Telramund zeugen von der Stück-Aktualität. Friedrich von Telramund – Kihun Yoon spielt seinen Fall vom vertrauten Helden zum Aussenseiter als er durch Lohengrin an der Spitze des Heeres abgelöst wird anrührig elend und selbstmitleidend, gleichzeitig passend dramatisch überzeugend ausgesungen – man kann sympathisieren. Rasch gibt er Ortrud die Schuld an seinem gesellschaftlichen Fall, lässt sich aber auch erstaunlich schnell zur Korruption überzeugen.

Der zweite Akt zeigt beide vor einem großen Berg mit Habseligkeiten Vertriebener, ein Trupp siegestrunkener Männer misshandelt Telramund, rasiert ihm den Kopf. Unter GMD Georg Fritzsch untermalt die Badische Staatskapelle nicht nur hier mit differenziertem Klang das Ensemble, nie zu überreizt mit feinen Zwischenfarben. Der rasende Telramund und die kühl-besonnene, gleichzeitig hitzige Ortrud (Dorothea Spilger facettenreich dramatisch) finden sich hier schließlich in böser Verführung und schmieden ihren Racheplan. Ihr Duo zeugt bebend-spannungsreich und mit düsterem Ernst von ihren zerrissenen Seelen. Dass Ortrud am Ende ein totes Baby im Arm hält, ist eine Anspielung auf ihre traumatische Erfahrung mit einem eigenen toten Kind.

ein weißer kapellenartiger Raum mit einer Wiege und einer sitzenden Darstellerin, dahinter der Chor, alles ist weiß

Dorothea Spilger, Phillip Hohner, Pauliina Linnosaari, Staatsopernchor, Extrachor. Foto: Felix Grünschloß

In einer einkerkernden blenden weißen Liebeskapelle sind Elsa und Lohengrin mit einer Wiege gefangen, dahinter steht der Chor drohend im einheitlichen Ordens-Kostüm mit Babys in den Armen. Der Volkswahn, das wankelmütige Bedürfnis nach Führung steigert sich indes immer weiter und das viel besungene „Heil“ des Librettos äußert sich in erhobenen rechten Armen gen auserwähltem Führer Lohengrin. Die Besetzung Lohengrins passt hier gut – Roschkowskis nicht wuchtiger, aber lyrischer Tenor kommt nuanciert zur Geltung und passt zum verkörperten Antihelden. Währenddessen werden die Zweifler am System mit Schildern um den Hals – „Ich habe gefragt“, „ich wollte wissen“, „ich habe nicht geglaubt“ – zur Zwangsarbeit verdonnert.

Wagner-Entzauberung

Die Wagner-Entzauberung wird im dritten Akt mit gesteigerter Spannung fortgeführt. Am Grab (Wagners) steht der Mobb – der von Ulrich Wagner wunderbar einstudierte Chor – nun komplett indoktriniert in Reih und Glied mit Armbinden und vereinheitlichter Uniform. Doch dann steigt schließlich das zum Führer von Brabant erkorene wildgermanische Sagen-Wagner-Schwan-Wesen auf das Grab, zerbricht das Gralsschwert und der Adler geht in Flammen auf.

Schmitts Lesart zeigt eine aktualitäts- und kontextbezogen Inszenierung. Ein ja zu Wagner, aber auch ein klares Ja zum historischen und Rezeptionskontext in einer Inszenierung, bei der die viereinhalb Stunden wie im Flug vergehen.