Paula (Nele Schweers) und Helmut (Michael Berger) sitzen eng beieinander auf der Bühne. Paule verstreut etwas vor sich auf dem Boden.

Aufstieg aus dem Graben

Jasmin Schreiber: Marianengraben

Theater:Mittelsächsische Theater und Philharmonie, Premiere:15.11.2025 (UA)Autor(in) der Vorlage:Stephan Bestier, Catharina JacobiRegie:Stephan Bestier

In der Uraufführung von Jasmin Schreibers Roman „Marianengraben“ beschäftigt sich das Ensemble mit emotionalen Abgründen. Trauer, Verlust und Tod finden in Stephan Bestiers Inszenierung am Mittelsächsischen Theater ihre Tiefe, ihre Authentizität, aber auch ihren Humor.

11.000 Meter unter dem Meer. Hier im Marianengraben fühlt sich Paula ihrem toten Bruder am nächsten. Das ganze Meer drückt ihr Herz zusammen. Am Tiefpunkt des Marianengrabens beginnt auch gleichnamiges Stück. Dunkelblau schimmert der Bühnenhintergrund, den ein abstraktes Strichmuster bedeckt. Das sieht aus wie Bakterienkolonien unterm Mikroskop. Was hier lebt, ob überhaupt etwas lebt, ist das metaphorische Thema der Inszenierung am Mittelsächsischen Theater Freiberg. Das vorab: Regisseur Stephan Bestier und sein Team leisteten sich keinen Schlag ins Wasser.

Die größte Untiefe der Welt als Metapher stammt von der Vorlage dieser Uraufführung. Jasmin Schreibers gefeierter Roman „Marianengraben“ handelt eben von jener Paula. Die junge Frau verlor ihren zehnjährigen Bruder Tim an Wasser – er ertrank. Das ist bittere Ironie, war das Leben im Wasser mit all seinen Tieren doch sein Lieblingsthema. Unfähig zu trauern, igelt sich Paula ein, fühlt sich verpanzert und verloren wie in der Meerestiefe versenkt. Ausgerechnet auf einem Friedhof beginnt ihr langsamer Aufstieg, ihr Zurück ans Lebenslicht. Sie trifft dort Helmut, der die Urne seiner verstorbenen Liebe ausgräbt. Paula hilft ihm und eine seltsame Reise zu den letzten Dingen beginnt. Eine Trauerreise, die beide gemeinsam in die Alpen antreten, zur Grablege von Helmuts Familie.

Leichtigkeit der Tiefe

Im Freiberger Theater wird man fast sofort hineingeworfen in die abstruse Begegnung. Ein kurzer Ausschnitt aus einer guten Nachtgeschichte – gesprochen aus dem Off und mit einer Zeichnung auf den Gazevorhang projiziert – erfolgt, schon ist Helmut im Hintergrund mit der Schaufel zu sehen. Tim geistert als reale Person in Paulas Kopf herum, ihrem Therapeuten erteilt sie eine Absage. Dann fragt sie unvermittelt auf dem Friedhof: „Was machen Sie da?“ Der Trip beginnt und nimmt die Zuschauenden mit. Das liegt an der Leichtigkeit, mit der das Team dieses schwere Thema angeht. Schon das Original verwendet eine eigene Sprache und viel Humor. Das wurde wunderbar auf die Bühne übertragen.

Schon das Bühnenbild ist über den Hintergrund hinaus stimmig (Ausstattung: Barbara B. Blaschke). Man sieht zwei Hälften eines Wohnmobils und einen Steg. Helmuts Hund und die Berge werden, wenn benötigt, einfach als Schwarzweiß-Skizzen auf die Fahrzeugflächen projiziert. Der hübsche Zeichenstil erinnert an die Ligne claire aus den frankobelgischen Comics.

Starke Bildsprache

Die Wagenhälften werden permanent auf der Bühne zu neuen Kulissen verschoben. Dadurch werden schnelle Szenenwechsel möglich, kann ein kurzer Dialog auf den nächsten folgen. Weil Tim, gespielt von Peter Peniaška, als Realperson auf der Bühne ist, wenn Paula in Gedanken mit ihm spricht, erlangt der Verlorene und damit der Verlust spürbare Präsenz. Auch dieser gute Regieeinfall verhilft der Inszenierung zum Tempo ohne Hänger.

Diese Art Schnitte haben etwas Filmisches, ohne dass das Geschehen zu sprunghaft wirkt. Alles ist im Fluss. Dass sich Paula schon in Bewegung befindet, auftreibt, ohne es zu ahnen, mag das andeuten. Das tut sie tatsächlich, dank Helmut. Den spielt ein famoser Michael Berger, der anfangs den trockenen Knochen vorgibt, aber doch voller Gefühl und vor allem Mitgefühl für Paula ist.

Diese gibt die nicht minder famose Nele Schweers. Ihre Paula changiert gekonnt zwischen Teenager und junger Erwachsener. Die Zerrissenheit, das Verlorensein und Schuldgefühle sprechen aus ihrem Spiel, das wie jenes Bergers ohne große Gesten auskommt. Da wird nicht drüber agiert, die Gefahr, Schmiere zu werden, wird zu keiner Zeit sichtbar. Da ist der Mut zur Pause ohne Zerdehnung, dem einfachen Innehalten und Stillstehen ohne Posieren. So kommen auch die komischen Momente in den Trauergesprächen des ungleichen Duos zum Tragen. Sie finden sich, weil sie eine gemeinsame Sprache sprechen. Das ist insgesamt höchst anrührend und das Spiel verblüfft darin, mit Leichtigkeit ein schweres Thema erträglich zu machen, ohne es zu verkitschen. Dieser Aufstieg aus dem Trauergraben ist wirklich schön, aber nicht beschönigend.