Die Technik zur Weltherrschaft

Richard Wagner: Das Rheingold

Theater:Theater Koblenz, Premiere:24.10.2025Regie:Inga Schulte, Markus DietzeMusikalische Leitung:Marcus MerkelKomponist(in):Richard Wagner

Im Ausweichquartier des Theaters Koblenz, einem Theaterzelt, wird Richard Wagners „Rheingold“ zum kurzweiligen Vergnügen – in einer ambitionierten Digital-Inszenierung mit Motion Capture, VR und einem ganz real hervorragenden Ensemble. 

Welch ein großartiger Theaterspaß! Dazu ein gelungenes technisches Experiment mit so lustiger wie musikalischer Personenregie. Was das Theater Koblenz in seinem Interim mit diesem technisch ambitionierten „Rheingold“ auf die Bühne gebracht hat, ist tatsächlich ein kleines Theaterwunder, das man mindestens zweimal erleben sollte: Einmal mit VR-Brille und einmal ohne – doch dazu später.

In Co-Regie mit Inga Schulte hat Intendant Markus Dietze die räumliche Not zur digitalen Tugend gemacht: Im gemütlichen Theaterzelt, wo maximal drei Bühnenbilder parallel gelagert werden können und großer Austattungs-Pomp gar nicht praktikabel ist, haben beide ihr Regiekonzept in eine Wagner-taugliche Gaming-Ästhetik gepackt. Durch Motion Capture und VR-Erfahrung (für einen Teil des Publikums als Zusatzerlebnis buchbar) wird nicht nur die Unterwasserwelt der Rheintöchter spektakulär erfahrbar, sondern auch eine leider realistische Werkdeutung entworfen: Wer die Technik beherrscht, beherrscht die Welt. Und das geht so:

Die Rheintöchter in Motion Capture

In grünglitzernden Ganzkörperanzügen betreten Woglinde (Hannah Beutler), Wellgunde (Michèle Silvestrini) und Floßhilde (Danielle Rohr) die leere Nebelbühne und stecken sich kleine Tracker an Hände und Kopf, mit denen sie ihre drei Avatare auf einem riesigen LED-Screen hinter sich steuern. Die schwimmen, schlagen Saltos oder gleiten vor Alberich über bunte Korallenriffe davon. Was fürs Publikum ein cineastisches Vergnügen ist, bedeutet für die drei jungen Sängerinnen koordinative Höchstleistung: ihre Avatare steuern, das Dirigat auf einem der vielen Monitore im Blick haben – und dabei noch derart charmant harmonieren. Bravo! Obwohl das Staatsorchester Rheinische Philharmonie seitlich der Bühne postiert und damit unsichtbar für Publikum und Solisten ist, gelingt Chefdirigent Marcus Merkel ein genaues, wohldosiertes Herausschälen der Leitmotive. Und wieder wäre bewiesen: Wagner ist wie geschaffen für die Kinoleinwand.

Die Rheintöchter und ihre Avatare: Woglinde (Hannah Beutler), Wellgunde (Michèle Silvestrini) und Floßhilde (Danielle Rohr). Foto: Matthias Baus

Technik weg, Rheingold weg

Alberich (furchteinflößend gut: Lawson Anderson) lässt sich von diesem Digitalspiel nicht blenden, ahnt seine Macht, zieht den drei Schönen sprichwörtlich den Stecker und klaut alles. Technik weg, Rheingold weg – man ahnt, was kommt: Nibelheim wird zur goldenen Klon-Fabrik, die Alberich mit VR-Brille (alias Tarnhelm) später von seiner Kommandozentrale beherrschen wird. Doch bis dahin belässt es das Regie-Duo nicht bei digitaler Raffinesse. Da wäre noch die sehr reale Götterfamilie.

Weil die Burg Walhall lange Baustelle war, hängt Göttervater Wotan nebst Familie auch auf einer solchen ab: Betonmischer, Dixie-Klo, Kugelgrill und zum Ausruhen eine gepolsterte Schubkarre (Bühne: Christof von Büren). Wotan (Nico Wouterse)  ist eine unfassbar coole Socke mit Lacoste-Trainingsanzug, Sonnenbrille und wechselnden Schlappen (Hugo-Boss für daheim, Birkenstock für die Unterwelt). Auch dem Rest der Familie hat Carolin Quirmbach herrlich persiflierende Establishment-Kostüme entworfen: Froh im weißen Tennis-Outfit (der junge polnische Tenor Piotr Gryniewicki lässt aufhorchen), Donner mit Hammer und Joint (Christoph Plessers), Fricka (Haruna Yamazaki) und Freia (Shinyoung Lee) in silbernen Abendkleidern. Vergeblich telefoniert Wotan Loge hinterher, der ihm doch adäquaten Ersatz für Freia suchen sollte, um den Riesen ihren Lohn fürs Burgbauen zu zahlen.

Fricka (Haruna Yamazaki) und Wotan (Nico Wouterse) auf ihrer Baustelle. Foto: Matthias Baus

Fricka (Haruna Yamazaki) und Wotan (Nico Wouterse) auf ihrer Baustelle. Foto: Matthias Baus

Schwierige Akustik, bravourös gemeistert

In dieser Wohlstandstristesse taucht Loge (göttlich: Tobias Haaks) als emphatischer Transvestit auf, ganz gelassen gegenüber allem männlichen Machtstreben. Die kammerspielartigen Dialoge, die er mit Wotan führt, bringen uns Wagners sprachliche Doppeldeutigkeiten nahe wie selten. Das – bis auf Lawson Anderson als Alberich – komplett aus dem Haus besetzte Ensemble meistert die schwierige akustische Situation bravourös, auch die auf Stelzen staksenden Riesen Fasolt (Tae-Oun Chung) und Fafner (Rúni Brattaberg), Mime (Nando Zickgraf) sowie Erda (überzeugendes Rollendebüt von Ezgi Kutlu), wobei unklar bleibt, warum sie die Träger des Rheingoldhortes handstreichartig abknallt.

Im dritten Bild kommt dann jener Teil des Publikums zurück, der die ersten Bilder im Foyer mit VR-Brillen zugebracht hatte. Was Britta Bischof und ihr Team der Abteilung Digital Theatre da auf die Beine gestellt haben, kann sich absolut messen mit aktuellen VR-Produktionen großer Theater. Zu selten geht man derart gut gelaunt aus dem Theater und hofft, es möge weitergehen mit diesem „Ring“.