Foto: „Die Erbschaft“ von Jasmin Meindl und Christian Muggenthaler am Landestheater Dinkelsbühl. v.l.n.r.: Verwalter Josip (Dirk Waanders), Branko Lirić (Thomas Weber), Tomo (Leonard Graeber), Julia (Léonie Thelen) und Senka (Maike Frank). © Ludwig Olah
Text:Manfred Jahnke, am 18. Oktober 2025
Klaus Kusenberg zeigt in der Uraufführung von „Die Erbschaft“ von der neuen Intendantin Jasmin Meindl und Christian Muggenthaler nach „König Lear“ am Landestheater Dinkelsbühl starke Bilder. Ein gelungener Intendanz-Start, bei dem das Ensemble mit fein-psychologischem Spiel überzeugt.
Nach 24 Jahren beendete im August 2025 der ehemalige Schnawwl-Schauspieler Peter Cahn seine Intendanz am Landestheater Dinkelsbühl. Seit dem 1. September 2025 ist Jasmin Meindl, zuvor am Bandhaus Theater in Backnang, Chefin in Dinkelsbühl. Bei einem Etat von annähernd zwei Millionen Euro muss sie mit ihrem Spielplanangebot fast 50 Prozent selbst erwirtschaften. Umso mutiger ihr Start. Sie beginnt mit einem tragischen Stoff: Zusammen mit dem Dramaturgen Christian Muggenthaler hat Jasmin Meindl „Die Erbschaft“ entwickelt. Zugrunde liegt dem Stück Shakespeares „König Lear“. Die Autor:innen stellen Shakespeare in einen Figurenkontext, der von Tschechow beeinflusst ist – allerdings nicht immer dessen Kunst der Pause beherrscht.
Die Großgrundbesitzerin Julia will, weil sie sich nicht mehr stark genug fühlt, ihr Erbe verteilen. Dabei hält sie sich nicht an die Tradition, dass nur der älteste Sohn erbt. Doch schon bei der Verteilung fällt Tomo, der jüngste Sohn, aus dem Rahmen. Er wird verbannt, sodass sein Erbanteil an seine beiden Geschwister fällt. Dennoch ist der Älteste, Branko, unzufrieden. Er jagt die Mutter davon. Diese setzt sich einem Gewittersturm aus und trifft dort auf den verkleideten Tomo.
Retrospektive Rekonstruktion
Die Geschichte wird aus der Perspektive des Tomo erzählt, der zu rekonstruieren versucht, was geschehen ist und warum: Am Anfang und Ende wird vorgeführt, dass Tomo wider Willen zum Alleinerben geworden ist. Im Zentrum steht dabei die Frage nach der Würde des Alters. Léonie Thelen spielt den Übergang von der taffen Geschäftsfrau, die alle Macht an ihre Kinder abgibt bis hin zur zerbrechlichen, schwachen Frau grandios. Ihre starken Momente hat sie, wenn sie im Wahnsinn agiert. Einen der anrührendsten Szenen führt sie vor, wenn sie den toten Verwalter (Dirk Waanders) ihren Mantel umlegt. Thelen ist die Entdeckung und die Seele der Aufführung.

„Die Erbschaft“ von Jasmin Meindl und Christian Muggenthaler am Landestheater Dinkelsbühl. Dem Wahnsinn verfallen: Julia Lirić (Léonie Thelen). Foto: Ludwig Olah
Der Clou der Fassung von Meindl und Muggenthaler ist, dass sie als Rückblende erzählt wird. Die Inszenierung von Klaus Kusenberg beginnt mit dem Auftritt von Tomo vor einem weißen Vorhang, hinter dem sich in Form eines Schattenspiels langsam die Toten aus ihren Gräbern erheben. Wenn sich der Vorhang hebt, werden die Toten lebendig. Sie spielen ihre eigenen Geschichte nach, nehmen dazu erst einmal die weißen Schontücher von den Spielrequisiten. Kusenberg entwickelt ein fein-psychologisches Spiel – wie zu seinen besten Zeiten.
Beeindruckende Figurenstudien
Nicht nur Léonie Thelen trumpft groß auf. Auch, wenn sie im Zentrum der Aufführung steht, sind die anderen Figurenstudien beeindruckend: Der älteste Sohn Branko zum Beispiel, wütend darüber, dass er nicht als Alleinerbe ernannt worden ist, entwickelt in der Darstellung von Thomas Weber eine (selbst-)zerstörerische Tendenz und ruiniert sein Hab und Gut. Er vertreibt seine Mutter und bringt schließlich seine Schwester Senka, der Maike Frank herbe Töne gibt, um. Als er ahnt, dass er seinem jüngsten Bruder Tomo (Leonard Graeber) gegenübersteht, greift er auch ihn an. In Notwehr wird Branko von Tomo erstochen.
In der Inszenierung von Kusenberg stehen die Geschichten von Branko und Senka nicht im Zentrum, sondern die von Julia. Sie behauptet die Würde des Alterns trotz allem oder geraden wegen des Wahnsinns. Die Regie findet starke Bilder, die in aller Tragik auch humorvolle Züge haben. Ein gelungener Start der neuen Intendanz, die in diesem Monat auch das 70-jährige Bestehen des Theaters in Dinkelsbühl feiern kann.