Foto: Anna-Katharina Tonauer (Susanne), Juan Carlos Falcón (Bazillus), Daniel Schliewa (Graf Almaviva) in „Der tollste Tage“ am Gärtnerplatztheater © Markus Tordik
Text:Roland H. Dippel, am 11. Oktober 2025
Johanna Doderer vertont als dritte Auftragsoper fürs Münchner Gärtnerplatztheater „Der tollste Tag“ nach Peter Turrinis gleichnamigem Stück. In der Uraufführung von Josef E. Köpplinger glänzt das Ensemble – und zeigt die Männerfiguren als Allegorie zeitloser Todsünden.
Was werden sich der österreichische Staatsintendant Josef E. Köpplinger und die österreichische Komponistin Johanna Doderer nach bisher drei Auftragskompositionen von „Liliom“ (2016), Turrinis „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ (2021) und jetzt Turrinis „Der tollste Tag“ als nächsten Gemeinschaftsstreich für das Gärtnerplatztheater einfallen lassen?
Doderers 100-Minuten-Vertonung von Peter Turrinis überall gegebener Rabiat-Überschreibung des Komödien-Oppositionicals „Die Hochzeit des Figaro“ aus dem Jahr 1972 erwies sich als lebhaft bis freudig beklatschter Uraufführungserfolg. Erstaunen und Missstimmung blieben aus – das Zündstoffpotenzial des Wohlstandsbürgerschrecks Turrini, mit dem dieser im Kielwasser der 1968er in der sprachgewandten Vergegenwärtigung „Der tollste Tag“ das Klima sozialer Gewalt und sexueller Kälte zum Thema brachte, ist jetzt fast so sakrosankt wie Kroetz und Handke.
Mehrbödiges Panoptikum
Das Publikum goutierte die durch Übertitel noch deutlicheren Mehrbödigkeiten. Worte wie „Schwellungen“ gewinnen auch in Doderers jüngster Oper durchaus sexuelle, hierarchische und scheinrevolutionäre Akzente. Nach eigenen Worten komponierte die für Top-Stars der Klassik schöpferische und bei Wien lebende Vorarlbergerin an Turrinis von ihr mit-inspirierten Kürzungen von „Der tollste Tag“ entlang. Trotzdem: Man erfährt klar und deutlich, dass Anna Agathonos mit vollfraulichen Belcanto-Tönen als ehemals dem Fach der „komischen Alten“ bzw. der „Spielaltistin“ zugeschlagene Marcelline ihr Recht auf Spaß mit Männern in Reifejahren artikuliert, dass Susanne im Vabanque-Spiel gegen die sexuellen Übergriffe des Grafen Almaviva nicht mit Parolen, sondern Intelligenz zu Werke geht.
Anna-Katharina Tonauer braucht ihren schön akzentuierenden Mezzosopran nur in eine Partie zu werfen, welche schon durch die Tessitur in normalen Mittellagen gegenüber den Exaltationen der anderen Figuren eine natürliche Autonomie, Anmut und Würde bewahrt. Ebenso ihr Bräutigam Figaro, die einzige männliche Sympathiefigur und von dem hohen Bariton Daniel Gutmann angemessen fabelhaft ausgeführt.
Allegorie zeitloser Todsünden
Ansonsten ist in Köpplingers Panoptikum jede Männerfigur eine Allegorie zeitloser Todsünden: Daniel Schliewa als souveräner Almaviva und hysterischer Heldentenor in den vokalen Fußstapfen des „Salome“-Herodes von Strauss. Der genial geschmeidige Juan Carlos Falcon als vom Musiklehrer Basilio zum Hofintriganten aufgemotzten Bazillus. Der noble Timos Sirlantzis als Don Guzman di Stibizia als ein Ausbund galanter Korruption. Und Levente Páll als arroganter Bartholo und Lukas Enoch Lemcke als zum wandelnden Pflanzenbild gewordener Antonio. Dazu stößt der Ensembleneuzugang Jeremy Boulton als Assistenz Zettelkopf aus dem hauseigenen Opernstudio: „Der tollste Tag“ ist mit der beste Beweis für die künstlerische Effizienz des am Gärtnerplatztheater langfristig kultivierten Ensemblegeistes. Eduardo Browne servierte die bei guter Ausführung effektvoll klingende Partitur wirkungsvoll – mit optimaler Koordination zwischen Bühne und Graben.

Réka Kristóf (Gräfin Almaviva), Anna-Katharina Tonauer (Susanne), Daniel Gutmann (Figaro), Juan Carlos Falcón (Bazillus) Foto: Markus Tordik
Sie alle wirken etwas verschroben in Birte Wallbaums an ornamentiert schweren Stoffen nicht sparenden Retrobarock-Kreationen. Einige Figuren haben etwas Rouge auf den Bäckchen, alle gierige bis leuchtende Augen und viele gesteifte Frisuren. Diese Rokoko-Phantasie ist rabiat und, wenn der Graf zum Weibe die Peitsche mitnimmt, mit teuer aufgepolstertem Charme ein bisschen vulgär. Marcelline trägt einen mit Geldscheinen applizierten Unterrock. Aha: „Geld macht sinnlich“.
Um Kulissenwände in der Farbe von tranigem Wolkenhimmel setzte Heiko Pfützner eine Installation aus zum Raumensemble montierten Matratzengestellen – für brunftige Frauen-Besteigungen also kein Bett im Kornfeld, sondern drahtige Unterlagen. Einzige echte Entgleisung: Beim anarchischen Turrini ist die von Doderer mit einem „Ave Maria“ (Achtung: Harfe!) bedachte Gräfin keine Schlampe, wie sie Réka Kristóf spielen muss. Das grenzt fast an Figuren-Denunziation, auch wenn die Gräfin bei Turrini und Doderer ein erotisch treffsicheres Sprachverhalten demonstriert.
Timing und kreative Eloquenz
Doderers Musik bewegt sich mit Rasanz zwischen den von ihr souverän gehandhabten Kategorien apart und billig bis banal. Signifikante Treffsicherheit eines Jingles zeigt Doderer mit Kastagnetten für spanisches Kolorit und Sachen, die dem Publikum spanisch vorkommen, aber eigentlich das germanisch-britische Laster von Unterwerfungsspielen meint. In Ensembles und Arien kann Doderer dann gut für Stimmen schreiben und setzt deren Qualitäten mit einer cremig schönen Instrumentation ins beste Licht. An Fähigkeit für Timing und kreative Eloquenz übertrifft sie die meisten Kolleginnen und Kollegen aus dem experimentell-performativen Lager. Am Ende ist der Grafen-Popanz mit dem großen Maul und dem notorisch einsatzbereiten Gemächte tot. Aber all die anderen in ihren wie aufgeplusterte Federkleidung wirkenden Kostümen sind wie Vögel auf selbst abgesägtem Ast, mit dem sie zu Boden rasseln.
Doderers Idee war es nicht, sondern die des mit einer idealen Besetzung aufwartenden Köpplinger: Bis heute gibt es für die Figur des priapisch umtriebigen Pagen und von allen Frauen gern befummelten Cherubin die Legende über Mozarts Erfindung des Hosen-Mezzos für postpubertäre Racker-Gestalten. In „Der tollste Tag“ heißt der Darsteller Paul Clementi. Der flirtet und säuselt in der Sprechrolle mit freiem Oberkörper und Suspensorium überwiegend Gewagtes und zeigt sanfte Gewalt. Darunter auch das ästhetische Axiom, dass schwule Akzente in eine verkehrte Komödienwelt gehören wie Pontius Pilatus ins Credo. Was bringen Doderer und Köpplinger als nächstes Gemeinschaftswerk?
Nach Molnár und Turrini wäre jetzt die viel zu früh verstorbene österreichische Autorenlegende Werner Schwab mit „Volksvernichtung“ oder „Die Präsidentinnen“ an der Reihe… Man wird sehen – und hören.