Foto: Andreas Beck (Onkel Wanja), Frank Genser (Michaíl Lwówitsch Ástrow), Uwe Rohbeck (Alexander Wladímirowitsch Serebrjaków), Uwe Schmieder (Marína), Lavinia Nowak (Sofja Alexándrowna oder Sonja) © Marcel Urlaub
Text:Martina Jacobi, am 12. Oktober 2025
Itay Tirans Inszenierung von „Onkel Wanja“ am Schauspiel Köln versammelt die Figuren aus Tschechows Stück auf einer düster-isolierten Einsamkeits-Insel. Setting und Ensemble entwerfen nahbare Figuren.
„Ich liebe niemanden“, sagt Ástrow. Der idealistische Landarzt, gespielt von Frank Genser, ist zwar klug und weiß um das Zerstörerische der Menschheit in Gesellschaft und Natur. Doch genau das lähmt ihn, fördert seine Selbstzerstörung. Ohne noch irgendwelche Ansprüche an das Leben zu haben, sucht er Zuflucht im Schönen – ergo bei der neuen Frau des Professors, Jeléna. Die ist mit ihrem Mann zurück aufs Landgut gezogen, denn das Leben in der Stadt ist für den Akademiker unerschwinglich geworden.
Auf besagtem Gut leben noch der Bruder der ersten Frau des Professors – Onkel Wanja –, seine Nichte, Sonja, und die alte Kinderfrau Marína. Wanja und Sonja haben ihr Leben der Arbeit und Finanzierung des städtischen Lebens des Akademikers der Familie verschrieben.
Diese eher unfreiwillige Familien-Zusammenkunft setzt Ausstatter Michael Sieberock-Serafimowitsch schon zu Beginn in die Traufe. Die Figuren befinden sich im Depot 2 des Schauspiels Köln auf einer dystopischen Insel – eine quadratische, schwarze mit Sitzblöcken umrahmte Bühne, umgeben von einem gefüllten Wassergraben, um den herum das Publikum sitzt. Darauf sind die in dieser Inszenierung sechs Figuren in ihrem verknüpften Schicksal zusammengepfercht, unfähig, sich daraus zu befreien.
Zeitloses Setting
Das betont zeitlos die Ausweglosigkeit der Figuren in Tschechows Ensemblestück, die niemals einfache Verstrickung in Beziehungs- und Lebensmuster. Ein vielleicht anfänglicher Lebensmut, idealistische und utopische Vorstellung, ja gar Träume sind längst dahin. Tschechows tragigkomische Lebensanalyse von existenzieller Verzweiflung und von vergeudetem Potenzial, dem Bruch zwischen Ideal und Realität resultiert in der Erkenntnis der Figuren über die eigene Bedeutungslosigkeit.

Die zweite Frau des Professors (Birgit Unterweger), der unter Schmerzen leidende Professor (Uwe Rohbeck) und die Kinderfrau (Uwe Schmieder). Foto: Marcel Urlaub
Im Ensemble sind einige bekannte Gesichter aus Intendant Kay Voges‘ Dortmunder Zeit: Andreas Beck spielt den in Depressionen versunkenen Wanja im schludrigen Labber-Look. Sein Lebens-Feuer, die Verehrung für den klugen Kopf der Familie resultiert in Enttäuschung, Alkohol und Wut auf seine Hoffnungsprojektion, den Professor. Der, zugeknöpft (Uwe Rohbeck) im straffen Anzug und als Akademiker vom leiblichen Alter und Schmerz auf den Boden der Realität zurückgeholt, kriecht wehleidig zurück in den Schoß des Kindermädchens.
Birgit Unterweger spielt die Frau des Professors gekonnt desinteressiert, empathisch unfähig und von äußerer Schönheit beschränkt. Ihre Stieftochter, Sonja (Lavinia Nowak), glaubt derweil noch an den Sinn praktischer Arbeit für eine Zukunft – und wenn nicht daran, dann doch zumindest an einen Frieden danach.
Kompakter Tschechow
Eine Lebensrealität so deprimierend, die einem unangenehm aus dem kleinkarierten Bühnenquadrat entgegenprallt. Viel kann in der reduzierten Kulisse nicht passieren. Das ist alles trostlos, schwarz, unangenehm gelangweilt und voller lascher Lebensunfreude. Die „banale Lebensphilosophie“ irgendeiner Sinnhaftigkeit, wie Wanja sie nennt, ist nur Schall und Rauch aus zerbröckelten Träumen.
Und „Liebe“ – selbst beim idealistischen Arzt – gibt’s hier nur noch durch körperliches Sehnen und in einer fesselnden Familientreue, die niemanden aus diesem Knäuel entlässt. Die Komik gelingt vor allem im von Uwe Schmieder gespielten Kindermädchen, allein durch Haltung, Kostümierung und ordentliche Strenge im Auftreten – das ist ihre Art, den Hausfrieden zu wahren.
Mit diesem auf anderthalb Stunden gerafften Abend stellt sich Itay Tiran dem Kölner Publikum mit einem kompakten Tschechow vor. Mit nahbaren Figuren, die unter dem reißenden Foliendach, auf das zuvor der Regen niederprasselt, bald wortwörtlich in der Traufe stehen.