Foto: Das Schlussbild mit Irina Ignata als Amenris aus der Darmstädter „Aida“. © Nils Heck
Text:Andreas Falentin, am 5. Oktober 2025
Die junge israelische Regisseurin Noa Naamat zeigt eine überraschend aktuelle „Aida“ am Staatstheater Darmstadt. Die Schicksale der Protagonisten gelingen dabei so überzeugend wie die musikalische Umsetzung.
Die „ABC-Opern“ – so nannte man in den 1970er-Jahren die Hauptwerke des Opernrepertoires. „Carmen“ und „Bohéme“ gehören, gemeinsam mit Verdis „La Traviata“ nach wie vor zu den Spitzenreitern in der Opernstatistik, „Aida“ nicht mehr – besonders in Deutschland nicht.
In der letzten Spielzeit wurde das Stück in Pforzheim inszeniert, in dieser Spielzeit nur in Kassel und Darmstadt. „Aida“ spielt im alten Ägypten, der ägyptische Soldat Radames steht zwischen der Königstochter Amneris und der gefangenen und zur Sklavin gemachten äthiopischen Königstochter Aida. Er stirbt an dieser amourösen Verstrickung, gleichzeitig tobt ein Krieg zwischen Ägypten und Äthiopien. Heute haben das Opernpublikum und auch die Regisseur:innen Probleme mit der Darstellung von Exotik. Die Kampfdarstellung mit Schwertern und alten Waffen wirkt behäbig und der dekorative Charme des alten Ägyptens an sich ist kein Schauwert mehr. Warum also inszeniert man heute noch eine „Aida“? Nur wegen der wunderbaren Musik?
Trümmerlandschaft auf der Bühne
Die junge, israelische Regisseurin Noa Naamat hat, zusammen mit der Ausstatterin Bettina John, eine Trümmerlandschaft auf die Bühne gestellt: Häuserruinen, ein umgestürzter Turm, viele lose Steine, vielleicht in einer Wüste. Kinder spielen in den Trümmern, ihre Eltern bringen sie in Sicherheit, ein Mädchen hat seine Puppe verloren, die Mutter holt sie, eine Bombe fällt, die Mutter ist tot.
Wenn Radames am Anfang sein berühmtes „Celeste Aida“ singt, tut er das während eines heutigen Krieges. Es geht gar nicht mehr um Ägypten oder um Liebe, sondern um Schutz, um den einen Menschen, der ihn versteht. Das ist die Beziehung, die Noa Naamat erzählt: Aida und Radames als Außenseiter in einer kriegsverrückten Welt. Was sie herausstellt, etwa in Aidas erster Arie, wo sie im Mittelteil schrecklich verlassen wirkt. Oder im großen Finale vor der Pause: Hier erlebt Radames, eingeleitet von den elektronisch verfremdeten Trompeten des Triumphmarsches, einen Albtraum, ein Scharmützel, wo Soldaten qualvoll sterben und ein Kind in Gefahr gerät.
Auf der anderen Seite inszeniert Naamat den Krieg als Männerspiel, besonders bei der „Schwertweihe“, eine so düstere wie übertriebene Männermesse, wo der Hohepriester Ramphis grundlos ein Feuer anzündet und ein altes Maschinengewehr als Fetisch präsentiert wird.
Lebendige Personenführung, trotzdem Opernroutine
„Relevanz“ antwortet die Regisseurin in der Einführung auf die Frage, was sie von einer Operninszenierung erwartet. Und das löst ihre „Aida“ ein: Wir sind in der heutigen Zeit, die Schicksale bewegen durch sehr lebendige Personenführung. Obwohl nicht alles Gold ist: Manchmal schleicht sich die Opernroutine in die Inszenierung, etwa im Finale des ersten Teils, wo die Protagonisten – wie in Verona – aufgereiht an der Rampe stehen. Andererseits wirkt etwa die Äußerung von Wut auf der Bühne überzeichnet: Immer wieder wird an Wände geschlagen, Amneris wirft Radames einmal sogar Steine hinterher.
Auch ein musikalischer Triumph
„Aida“ in Darmstadt gelingt auch musikalisch. Johannes Zahn, der erste Kapellmeister des Hauses, schafft den großen Bogen, zeigt die vielen Farben des Stückes, dirigiert nur manchmal agogisch. Lediglich im ersten Terzett oder im Finale des zweiten Aktes wird es etwas zu laut. Der Chor, einstudiert von Guillaume Fauchére, singt tadellos mit gutem Volumen und bemerkenswert klangschön.
Matthew Vickers und Megan Marie Hart, beide aus dem Ensemble des Staatstheaters, verkörpern Radames und Aida glaubhaft, harmonieren auch im Duett-Gesang. Hart mit einem kernigen Spinto-Sopran und überraschender Höhe, Vickers mit für die Rolle etwas zu kleinem Tenor, aber kostbaren Farben. Die Sängerin des Abends ist Irina Ignata als Amneris. Sie singt scheinbar mühelos mit schlanker, gut geführter Stimme und verkörpert schauspielerisch die Wandlung von einer Herrschenden zur Wissenden. Das Schlussbild, wieder mit spielenden Kindern, der zerstörten Amneris und dem gemeinsam sterbenden Paar, vergisst man nicht so schnell, auch weil es sehr theatralisch gebaut ist: Aida und Radames befinden sich in einer offenen Ruine, sie könnten sie einfach verlassen, aber sie wollen nicht. Beide sind fertig mit unserer Welt.
Die tiefen Stimmen ergänzen auf gutem Niveau, auch sie sind Menschen, keine Bösewichte. Aris Argiris mit einem fast monströsen Bariton, wie er für Amonasro, den äthiopischen König gefordert ist. Zaza Gagua als fanatischer Staatsdiener Ramphis mit manchmal leicht dröhnendem Bass und Johannes Seokhoon mit klangschönem Bass als ägyptischer König, der so gerne ein guter Herrscher wäre – aber im Krieg geht das eben nicht.