Szenenfoto von Mason Bates „The Amazing Adventures of Kavalier & Clay“.

Ein etwas anderer Opernheld

Mason Bates: The Amazing Adventures of Kavalier & Clay

Theater:The Metropolitan Opera, Premiere:21.09.2025Vorlage:The Amazing Adventures of Kavalier & ClayAutor(in) der Vorlage:Michael ChabonRegie:Bartlett SherKomponist(in):Mason Bates

Mit „The Amazing Adventures of Kavalier & Clay“ eröffnet die Metropolitan Opera ihre Spielzeit: einem Anti-Faschismus-Comic als Oper. Mason Bates und Gene Scheer übertragen Michael Chabons gleichnamige Romanvorlage auf eine Partitur zwischen Prag, Brooklyn und Technicolor-Fantasie. Diese trifft in einer bilderstarken Inszenierung erstaunlich präzise den Puls der Gegenwart.

Auf Grundlage von Michael Chabons mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetem Roman erzählt die Oper die Geschichte zweier jüdischer Cousins: Josef Kavalier (später Joe Kavalier), der aus dem von den Nazis besetzten Prag entkommt, und Samuel Klayman (später Sam Clay), der im Brooklyn der späten 1930er Jahre vom aufkommenden Comic-Boom angezogen wird. Gemeinsam erfinden sie „The Escapist“, einen anti-faschistischen Superhelden, der dort Gerechtigkeit übt, wo die Realität versagt. Das Libretto strafft die Vorlage spürbar: die Aufführungsdauer liegt bei etwa drei Stunden.

Eine Szene aus Mason Bates „The Amazing Adventures of Kavalier & Clay“ mit Jerimy Rivera als der Escapist.

Szenenfoto mit Jerimy Rivera als der Escapist. Foto: Evan Zimmerman / Met Opera

Ein Held aus Exil und Fantasie

Man spürt sofort, dass hier nicht bloß ein Bestseller vertont wurde, sondern eine Poetik des Entkommens. Andrzej Filończyk zeichnet Joe Kavalier mit kernigem Bariton und einer Verletzlichkeit, die nie sentimental wird. Die Grenzgänge der Partie bewältigt er klug durch Textdeutlichkeit und Linie. In Brooklyn wird das improvisierte Atelier der Cousins zur Werkstatt des Widerstands, getragen von Miles Mykkanen als Sam Clay – ein Tenor mit jener „amerikanischen“ Direktheit, die Regisseur Bartlett Shers Tempo braucht und Sams innere Gegenreden hörbar macht.

Gene Scheers Libretto rückt die jüdische Erfahrung als Motivationskern ins Zentrum. Die Erzählung ist fest in der politischen Zeit des Zweiten Weltkriegs verankert; der Holocaust ist dabei mehr als Kulisse, und die Deportationsszene im Güterwaggon, von Anklängen an „Ani Ma’amin“ (Gebet über die jüdischen Glaubensgrundsätze) durchzogen, rahmen den Abend politisch, ohne ihn zu beschweren.

Dass Mykkanen szenisch mühelos zwischen lyrischen Linien und einem American-Songbook-Gestus wechselt, passt zu einer Figur, die zwischen Broadway-Träumen und dem Versteckspiel mit der eigenen Identität balanciert.

Miles Mykkanen als Sam Clay und Andrzej Filończyk als Joe Kavalier in Mason Bates „The Amazing Adventures of Kavalier & Clay“.

Miles Mykkanen als Sam Clay und Andrzej Filończyk als Joe Kavalier. Foto: Evan Zimmerman / Met Opera

Auf der erzählerischen Ebene zieht die Oper klare Linien: Joe erfährt vom Tod seiner Familie und aus Trauer wird Zorn, der ihn in riskante Alleingänge treibt. Sam findet in Tracy Bacon eine heimliche Liebe, die am Klima der Zeit (Homophobie) scheitert. Zugleich boomt die Comic-Industrie: Die Cousins sind erfolgreich und der Escapist wird vom Traumventil zum politischen Werkzeug.

Zwischen Prag, Brooklyn und Panels

Bartlett Sher baut in seiner Regie den Dreiklang der Räume – Europa im Krieg, New York im Aufbruch, das Panel-Universum – als präzise choreografierten Wechsel. Die hohen, verschiebbaren Wände, Treppen und Stege, dazu den Bühnenrahmen füllende Projektionen von Jenny Melville und Mark Grimmer (59 Studio), schlagen Brücken vom dokumentarischen Grau Prags zur Leuchtreklame der 40er Jahre. Die Bilder wachsen turmhoch, schneiden Orte wie die Kästen einer Comicseite. Lauren Snouffer als Sarah Kavalier trägt in diesen Übergängen mit klarem Sopran bei und erdet somit die Familiengeschichte jenseits der Fantasie.

Im Reich des Escapist kippt die Bühne in rotierende Farbflächen, ohne in Kitsch zu verfallen: Fantasie als Kommentar, nicht als Fluchtloch. Ein New-York-Salon mit einem Hauch Dalí blitzt auf, während Craig Colclough als Gerhard – scharf konturierter Nazi-Gegenspieler – die Europa-Szenen schärft. Das Ensemble und der Met-Chor halten die vielen Ortswechsel musikalisch dicht. Die Koordination zwischen Bühne und Graben gelingt bemerkenswert reibungslos.

Symphonische Elektronik

Bates mischt große Gesten mit feiner Sensorik. New York schimmert in Jazz- und Big-Band-Inflektionen, Prag legt sich in verdichtete Streicherfarben. Sun-Ly Pierce konturiert in Brooklyn als Rosa Saks mit fokussiertem Mezzo Widerstand und Zärtlichkeit: Die Dialoge mit Sam tragen eine diskrete Swing-Schwere.

Edward Nelson als Tracy Bacon und Miles Mykkanen als Sam Clay.

Liebesszene zwischen Edward Nelson als Tracy Bacon und Miles Mykkanen als Sam Clay. Foto: Evan Zimmerman / Met Opera

In der Comic-Sphäre treten die Synthesizer nach vorn: Elektronik als Lichtquelle, die Konturen zieht. Bates „symphonic electronica“, im Studio vorproduziert und so präzise eingebunden, dass Dirigent Yannick Nézet-Séguin stellenweise „in den Beat“ einrastet, ohne das Orchester preiszugeben. Entscheidend ist, dass die Elektronik kein Effekt bleibt, sondern als weiterer Orchesterfarbton funktioniert.

Wo Bates auf scharf rhythmisierte Blöcke setzt, droht es kurz zu sehr ins Sprechhafte zu kippen. Insgesamt jedoch hält die Partitur die Balance zwischen historischem Dunkel und utopischem Glanz. Die Technicolor-Schicht bekommt musikalische Notwendigkeit.

Die Met und ihr Jetzt

Als Saisonauftakt gesetzt, wirkt die Co-Produktion (Metropolitan Opera/Indiana University Jacobs School of Music) weit mehr als Symbolpolitik. Als Opening Night Gala präsentiert, wird der Abend zugleich zur Programmansage und knüpft an eine alte Met-Tugend an: Neue Werke mit gesellschaftlicher Relevanz werden dorthin gestellt, wo sie Diskussionen auslösen.

Andrzej Filończyk als Joe Kavalier in Mason Bates „The Amazing Adventures of Kavalier & Clay“.

Andrzej Filończyk als Joe Kavalier. Foto: Evan Zimmerman / Met Opera

Am Ende erzählt der Abend keinen Superhelden-Triumph, sondern einen leisen Pakt: Joe lässt die Rachefantasien los und kehrt – angeschlagen, aber handlungsfähig – an den Zeichentisch zurück; Rosa und Sam halten Atelier und Leben zusammen, während Tracy aus dem Bild gedrängt wird.

Der Escapist bleibt als Versprechen, dass Kunst nicht retten, aber Haltung vermitteln kann. Bates fasst das ohne Pomp und so endet der Abend in einem ruhigen, weit geöffneten Schlussbild statt Knalleffekt.

Miguel Schneider Porträt

Miguel Schneider wirkte in der Vergangenheit als Pianist an Produktionen der Met mit und sieht der Opening Night wie den neuen Opernstoffen jedes Jahr mit Neugier entgegen, begleitet von großer Anerkennung für das gesellschaftliche Engagement des Hauses.