Foto: Das Ensemble in „Blösch“ © Krafft Angerer
Text:Bettina Schulte, am 19. September 2025
Co-Intendant Rafael Sanchez gibt am Schauspielhaus Zürich seinen Regieeinstand mit einem schweizerdeutschen Abend über Ausgrenzung. Dabei wirkt die Balance aus Schrecken und Heimatgemütlichkeit etwas unausgegoren.
Alles neu in Zürich: eine neue Schauspielintendanz, halb schweizerisch, halb deutsch, halb männlich, halb weiblich – und eine Uraufführung am Pfauen zur Eröffnung der ersten Spielzeit von Rafael Sanchez, geboren, aufgewachsen und ans Theater gekommen in Basel, und Pinar Karabulut, geboren in Mönchengladbach und später als Regisseurin viel herumgekommen an deutschen Bühnen. „Blösch“ ein Theaterstück von Mike Müller nach dem 1983 erschienenen Roman des Berner Autors Beat Sterchi, führt tief hinein in die Innerschweiz. So tief, dass dessen Sprache offenbar nur Schweizerdeutsch sein konnte – im Gegensatz zum Roman, der sich mit seinen avancierten literarischen Verfahren in die angloamerikanische Moderne nach Faulkner und Joyce eingeschrieben hat.
Übersetzung ins Schyzerdeutsche
Back to the roots also? Soll man die Entscheidung für ein Volksstück auf Schweizerdeutsch programmatisch sehen? In Basel hat zwei Wochen zuvor ebenfalls eine Premiere auf Schweizerdeutsch stattgefunden – nach einem Roman, den man ebenso aus der jüngeren deutschsprachigen Literaturgeschichte herausgezogen hat: „Mars“ von Fritz Zorn, 1977 erstmals erschienen, dort allerdings für des Alemannnischen nicht mächtige deutsche Zuschauer mit Übertiteln versehen.
Auch im Pfauen wäre eine solche Sprachhilfe sinnreich gewesen. So aber fühlte sich die aus dem Breisgau angereiste Kritikerin vom Geschehen auf der Bühne über weite Strecken so ausgeschlossen wie der Protagonist des Stücks: Der Spanier Ambrosio (Alexander Angeletta) kommt in den 1960er-Jahren als einer der ersten Fremdarbeiter in ein Schweizer Dorf, um dem Knuchelbauern (mit wüstem Bart und wüster Sprache: Michael Neuenschwander) beim Melken zu helfen. Denn der eigensinnige Hans, ein Originalschweizer wie aus dem Klischeebilderbuch, verweigert sich dem technischen Fortschritt, der Melkmaschine heißt. Und also schnallt sich der Spanier, der mit seiner Ledertasche auf Simeon Meiers von einem Klischeebauernhaus ausgefüllten Bühne sehr verloren wirkt, den Schemel um. Integriert ist er damit natürlich nicht. Angefeindet wird er im Wirtshaus, wo sich die Volksseele in dumpfem Fremdenhass ergeht. In Sterchis großartigem Roman verdunkelt einem die Aggression gegen das andere das Gemüt. In Sanchez’ „Bauerntheater“ (so der Übertitel der ersten Hälfte des dreistündigen Abends) bleibt sie mehr oder weniger Behauptung.
Von Kuh und Mensch
Zuflucht sucht Ambrosio bei den Kühen: Und wie die Inszenierung sie auftreten lässt, das funktioniert ganz wunderbar. Blösch, die Leitkuh, die Schöne, die kapriziöse Diva, singt bei Mirjam Rast ein Chanson auf Französisch. Das klingt anmutig. Der Rest der Kuhtruppe, dargestellt vom Ensemble mit hängenden Armen und geduckter Körperhaltung, ist dagegen ziemlich plump gestrickt. Das gilt erst recht vom Stier Pestalozzi (Mike Müller), der sich von der reizvollen Blösch so gar nicht locken lassen will. Die Szenen zwischen Mensch und Tier – auch ein leibhaftiger Hund mit Namen Pesche (Peter) tritt auf – erheitern das Premierenpublikum.
Doch so harmlos geht es nicht weiter. Nach der Pause schaut man in die mit roten Tüchern ausgestattete Hölle des Schlachthofs. Denn Ambrosio wird in die Fleischfabrik abgeschoben, wo in Gestalt des Vorarbeiters Krummen (Karin Pfammatter) ein anderer Ton herrscht. Dass Beat Sterchi das Metzgerhandwerk erlernt hat, teilt sich in jedem seiner ungemein detailreichen Sätze mit. Doch das Grauen der Tiermetzelei, das der Roman beschwört, beschränkt sich im Pfauen auf blutige weiße Schürzen. Und auf die 86-jährige Schauspielerin Margot Gödrös, die als abgehalfterte Kuh Blösch einen bewegenden Auftritt hat. Im Roman, der in Rückblenden erzählt wird, beginnt alles damit, dass Ambrosio auf das abgemagerte Tier trifft und zutiefst erschüttert ist. Im Pfauen tritt die junge Blösch noch einmal auf und singt ihr Lied. Und alles ist gut, wenn im Foyer zur Feier des Tages noch eine dreiköpfige Combo Schweizer Volksweisen zum Besten gibt. Die Schweiz feiert sich selbst an diesem Abend.