Ein Schauspieler in weißem Hemd mit Blut drauf

Im Namen der (Un)Gerechtigkeit

Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas

Theater:Metropoltheater München, Premiere:09.07.2025Regie:Jochen Schölch

Am Metropoltheater München inszeniert Jochen Schölch Heinrich von Kleists „Michael Kohlhaas“ auf einer minimalistisch gehaltenen Spielfläche. Marc-Philipp Kochendörfer spielt den Antihelden nuanciert, an erster Stelle stehen Kleists Worte.

Recht haben und Recht bekommen sind nicht immer dasselbe. Daran hat sich seit der Zeit Heinrich von Kleists scheinbar nur wenig geändert. Hat man beim Blick auf die Schlagzeilen doch auch heute zuweilen das Gefühl, dass Vorschriften oder Gesetze für die oberen zehn Prozent aus Politik und Wirtschaft womöglich ein wenig dehnbarer sind als für Normalsterbliche. Und somit trifft auch das Münchner Metropoltheater in gewisser Weise einen Nerv der Zeit, wenn es zum Ende der laufenden Saison Kleists „Michael Kohlhaas“ auf den Spielplan setzt, die Geschichte eines gottesfürchtigen Pferdehändlers, der sich der Willkür eines alles andere als edlen Junkers ausgesetzt sieht und vor Gericht vergeblich sein Recht einzuklagen versucht.

Kohlhaas ist eine Figur, die den Schauspieler Marc-Philipp Kochendörfer durch seine Karriere begleitet hat und die er über die Jahre in unterschiedlichen Produktionen auf die Bühne brachte. Nun also auch in München, wo er diese Lebensrolle gemeinsam mit Regisseur Jochen Schölch ein weiteres Mal angeht. Und was Kochendörfer mit dieser fesselnden Solo-Performance abliefert, ist schlichtweg brillant. 75 Minuten pures Theater, bei dem er neben seiner Aufgabe als eloquenter Erzähler sprachlich virtuos gleich noch ein knappes Dutzend weiterer Charaktere übernimmt. Vom arroganten Burgvogt über die fürsorgende Ehegattin bis hin zum Titelhelden selbst, dessen anfängliche Fassungslosigkeit schnell der blanken Wut weicht.

Die Macht des Wortes

Kochendörfer springt da gerade in den hitzigen Diskussionen immer wieder blitzschnell zwischen den jeweiligen Kontrahenten hin und her, wobei es keine großen Kostümwechsel braucht. Ein mal von links nach rechts schräggerückter Hut oder ein scharfer Lichtwechsel genügen. Denn hier steht die Macht des Wortes an erster Stelle.

Bühnenbildner Thomas Flach hat dafür eine minimalistisch gehaltene Spielfläche entworfen, eingerahmt von der verbrannten Erde, die Kohlhaas auf seinem blutigen Rachefeldzug gegen die Obrigkeit zurücklässt. Und obwohl der zu düsteren Streicherklängen über die Rückwand flimmernde Kino-Vorspann zunächst anderes vermuten lässt, kommen Projektionen nur überaus sparsam zu Einsatz. Neben einer stilisierten historischen Landkarte, mit der man das Geschehen fürs Publikum noch einmal geografisch verortet, erscheinen diese eigentlich nur noch in der zentralen Begegnung zwischen Kohlhaas und dem überlebensgroß zu ihm predigenden Martin Luther. Währenddessen wird das Schlachtengemetzel lediglich durch ein paar kleine Spielzeugsoldaten symbolisiert, die unser Protagonist elegant mit dem Fuß zur Seite fegt.

Visionär oder wahnsinnig?

Er und Schölch haben es nicht nötig, mit den bekannten Verfilmungen zu konkurrieren oder die immer weiter eskalierende Gewaltspirale plakativ in Szene zu setzen. Das übernimmt schon Kleist selbst mit seiner einerseits bildlichen, an anderer Stelle aber auch wieder bewusst nüchternen Sprache. Und die darf hier meist ganz für sich wirken. Kochendörfer hat die berühmte Novelle gemeinsam mit Jonathan Giele auf sieben Kapitel eingekürzt, wobei die kurzweilige Bühnenfassung ganz dem kleistschen Originaltext treu bleibt, ohne etwas hinzuzudichten. Und es ist tatsächlich erschütternd, wie aktuell die Geschichte dennoch wirkt, wenn über die Verhältnismäßigkeit von Vergeltungsschlägen, über Moral und Religion, oder über das Versagen des Rechtsstaates debattiert wird. Denn obwohl die Sympathien des Publikums zu Beginn klar beim betrogenen Kohlhaas liegen, wird es doch von Kapitel zu Kapitel schwieriger, seine Taten zu rechtfertigen.

Haben wir hier einen in seiner Ehre gekränkten Helden vor uns, der für die Unterdrückten ins Feld zieht? Oder doch eher einen Terroristen, der das Recht in die eigene Hand nimmt? Und auch die im Programm provokant gestellte Frage, ob wir nun einem Visionär oder einem Wahnsinnigen begegnen, lässt Marc-Philipp Kochendörfer durch sein nuanciertes Spiel gerade im Dialog mit Luther im Unklaren. Hätte Kohlhaas seinem Feind nach christlichem Vorbild verziehen, wenn er gewusst hätte, dass er seine Vergeltung auch mit dem Blut seiner Frau bezahlen muss? Die Antwort hierauf ist bei Kleist ein diffuses „Kann sein.“ Zwei Worte, die Kochendörfer dem auf seinen eigenen Prinzipien beharrenden Antihelden so beiläufig in den Mund legt, dass das anrührende Begräbnis der Gattin beinahe verblasst. Die endgültigen Antworten muss das Publikum selber finden.