Foto: Szene mit Sharon Tadmor © Bettina Stöß
Text:Clara Hütterott, am 7. Juli 2025
Die Oper Wuppertal zeigt mit „Thumbprint” die Geschichte der pakistanischen Frauenrechts-Aktivistin Mukhtar Mai nach einer wahren Begebenheit. Eine Kammeroper über Macht, sexualisierte Gewalt gegen Frauen und den Missbrauch von Religion, die uns in der Inszenierung von Katharina Kastening bewegt zurücklässt. Es bleibt der Wunsch nach mehr solch echter Geschichten in der Oper.
Die Kammeroper wird im Backstage der Oper Wuppertal aufgeführt. Das Publikum schlängelt sich durch dunkle Gänge und setzt sich dann fast wie in einem Gerichtssaal rechts und links neben die längliche Bühne. Die kleine Orchesterbesetzung sitzt vor Kopf. Der Akustik tut der Aufbau kein Abbruch: Mal sitzen die Sänger:innen direkt vor einem, mal sieht man sie auf der anderen Bühnenseite von hinten. Der Klang ist stets satt und ausgeglichen – auch dank der klaren und umsichtigen musikalischen Leitung von Bonnie Wagner.
Nah, näher, Mukhtar
Die Geschichte ist recht kurz und klar. Mukhtar erklärt sich bereit, für ein angebliches Verbrechen ihres Bruder vor den mächtigen Mastoi um Verzeihung zu bitten. Diese wird ihr gegen einen unfassbaren Preis gewährt: Eine Gruppe Männer vergewaltigt sie nach dem Auge um Auge-Prinzip. Mukhtar zieht aufgrund ihrer Scham und die in Pakistan nach einer Vergewaltigung „üblichen Tradition“ in Betracht, sich das Leben zu nehmen. Ihre Mutter appelliert an ihre Stärke, bis Mukhtar schließlich entscheidet, Anzeige zu erstatten: ein für die 2002er Jahre, aus denen die Geschehnisse stammen, revolutionärer Akt. Trotz der fehlenden vier männlichen Augenzeugen und dank der Unterstützung des Imam werden die Mastoi schließlich für schuldig erklärt. Mukhtar baut mit der entschädigenden Geldsumme eine Schule für Mädchen.
Bettina Johns Bühne und Kostüm strahlen Reinheit und Klarheit aus. Das meiste ist weiß – außer Mukhtars zeitweise rosanes Hijab – und glatt. Schattenspiele werfen harte Kanten an das eine Ende der Bühne, das gleichzeitig als Leinwand fungiert. Zwischendurch übertragen die Figuren mit einer Kamera das Geschehen auf der Bühne live auf die Leinwand im Hintergrund und alles wird noch nahbarer. Zeitweise ist jede kleine Geste in den Gesichtern der Sänger:innen groß projiziert am einen Bühnenende zu sehen. So nah ist das Publikum einzelnen Rollen im Opernkontext selten.
Die Musik arbeitet mit Repetitionen, traditionellen pakistanischen und indischen Klängen, wunderschönen Melodien und geklatschten Rhythmen. Besonders berühren alle Ensemblestellen: Den Sänger:innen gelingt der Balance-Akt, Lautstärken und Tonfärbungen an den kleinen Raum und den geringen Abstand zum Publikum auszutariren. Auch ihre schnellen Rollenwechsel fesseln und sind inszenatorisch geschickt durch kleine Kostümwechsel wie Mützen oder Kopfbedeckungen, die stets an- und abgezogen werden, gelöst. Noch ist der eine Täter, schon wird er zum Polizisten. Die Unmittelbarkeit lässt einen die Grausamkeit der Geschichte besonders betrachten.
Kleine Bühne, große Fragen
Trotz der räumlichen Nähe besteht eine gewisse Distanz zum Geschehen. Vor allem die einfarbigen Kostüme und die nicht-europäischen Klänge und Rhythmen tragen dazu bei. Als wäre man Beobachter der Entscheidungen ekelhafter Egomanen, die engstirnig auf ihre Traditionen bestehen.
Es wirkt nicht so, als würde man in ein Geschehen hineingezogen. Und trotzdem regt „Thumbprint” große Fragen an. Dass das Erzählte auf einer wahren Begebenheit beruht, scheint zu wirken und zu tragen: Im Nachgespräch kommt es zum Austausch darüber, wie wichtig es ist, Zivilcourage zu zeigen und selbst den Mund aufzumachen, damit eben nicht eintritt, was die Figuren fast wie ein Mantra beteuern müssen: „Die Wahrheit stirbt im Mund der Macht“. Es kommt zum Austausch darüber, wie Religionen von Individuen für eigene Zwecke missbraucht werden. Auch die Brücke, wie aktuell und alltäglich sexualisierte Gewalt ist, schlägt das Publikum, obwohl es in der Inszenierung erst ganz am Ende Raum bekommt: Die Oper schließt mit einer Projektion von Namen von Opfern sexualisierter Gewalt an der großen Leinwand im Hintergrund.
Gegen Ende des Nachgespräches spricht die Intendantin Rebekah Rota aus den Reihen der Zuschauenden und erklärt, „Thumbprint” gehöre zu einer festen Reihe des Hauses, jede Spielzeit eine zeitgenössische Oper aufzuführen (nicht so viel Fokus auf Uraufführungen!), die noch nicht viel Beachtung bekommen hat. Oft von Komponistinnen, oft europäische Erstaufführungen – der US-amerikanische Markt sei da einfach etwas weiter. Die Oper Wuppertal zeigt an diesem Abend: Man braucht die Welt nicht immer neu erfinden, bitte mehr Oper mit echten Geschichten. Es sind noch viele unerzählt und auch nach 20 Jahren dringender denn je.