Chandrashekara Kempaiah, David Smith, Devaki Rajendran und Larissa Voulgarelis sitzen mit Holzmasken vor den Gesichtern und einer Blume aus den Köpfen ragend auf dem Boden zusammen.

Weit weg und doch ganz nah

Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah: Still I Choose to Love

Theater:Nationaltheater Mannheim, Premiere:19.06.2025 (UA)Vorlage:Kabale und LiebeAutor(in) der Vorlage:Friedrich SchillerRegie:Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah

Regisseur Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah bringt am Nationaltheater Mannheim zum Auftakt der 23. Internationalen Schillertage sein Stück „Still I Choose to Love“ auf die Bühne. Darin verknüpft er Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“ mit dem alten indischen Kastensystem. Gleichzeitig thematisiert er, was passiert, wenn zwei verschiedene Kulturen aufeinander treffen.

Zur Eröffnung der 23. Internationalen Schillertage am Nationaltheater Mannheim ist eine ungewöhnliche Inszenierung im Haus des Kooperationspartners Theaterhaus G 7 zu sehen: In „Still I Choose to Love“ knüpft der indische Regisseur Lakshman Kachanahalli Poojahanumaiah (auch Lakshman KP) an Schillers „Kabale und Liebe“ an. Konsequenterweise bezieht er sich zentral auf den Grundkern des Stücks: Da lieben sich zwei junge Leute aus unterschiedlichen sozialen Klassen, aber die Männerschicht, die die Macht hat, wehrt sich gegen eine solche Verbindung. Bei Schiller endet die Geschichte mit dem Tod von Luise und Ferdinand.

Lakshman KP führt Publikum das Publikum in seiner Inszenierung erst einmal in mythologische Welten ein: Das Ensemble hockt mit schwarzen Gesichtsvollmasken auf der Bühne. Devaki Rajendran spielt dazu auf einem Blasrohr, kurz: eine fremde, für das Publikum ungewohnte Atmosphäre waltet. Die anschließende Szene führt dann inmitten des Kastensystems des hinduistischen Indiens mit seinen engen Schranken. Eine Liebe zwischen einem „Dalit“, der untersten Kaste, und einer höheren „Klasse“ endet mit dem Tod: Channi wird einfach beiseite gebracht, während die Eltern auf seine Rückkehr hoffen.

Theater der Reflexion

„Still I Choose to Love“ ist eine vielschichtige Produktion. Nach dem mythologischen Vorspiel treffen sich die vier Schauspieler:innen – zwei aus dem indischen, zwei aus dem europäischen Raum – zum Proben. Es sitzen in vielen Szenen zwei Darsteller:innen außen, die nach Ende einer Szene ihre Kolleg:innen positiv kritisieren und aufbauen. Zumal die Spielenden oft an ihrem Spiel zweifeln. Die Probensituation selbst wird thematisch. Insbesondere die Frage nach der Identität beschäftigt die Spielenden.

Verschwindet man hinter den Rollen als Persönlichkeit oder macht man die erlebten Wunden zum Ausgangspunkt einer theatralischen Arbeit? Repräsentationstheater oder ein Theater der Moralität? Nicht zufällig verweist diese Diskussion auf Schillers „Das Theater als moralische Anstalt“, aber mehr noch verweist diese Probensituation auf die Schwierigkeiten in der Begegnung zweier unterschiedlicher Kulturen. Die Widersprüche zwischen einer hinduistischen und einer westlich-christlichen Tradition werden nicht geleugnet, sondern zum treibenden Spielanlass.

Kabale und Kastensystem

In verschiedenen Szenen werden die Beziehungen der Geschlechter unter den Bedingungen eines Kastensystems beleuchtet, in dem die Frau gesellschaftlich auf einer Stufe mit den Dalits (der untersten Kaste) steht. Einen Höhepunkt (von vielen) stellt in diesem Zusammenhang eine Szene dar, in der Devaki Rajendran Chandrashekar Kempaiah und David Smith beispielsweise einpeitscht, wie Mann/Frau sich zu benehmen haben. Lakshman KP gelingt es dabei, die verschiedenen Erzählstränge und Szenen immer wieder unter dem Generalnenner „Liebe“ zusammenzuführen. Die Liebe hält alles zusammen. Selbst dort, wo sie scheitert, triumphiert sie. Das liegt nicht nur an der stimmungsvollen Inszenierung mit poetischen Einsprengseln und live vorgetragener Musik, sondern vor allen Dingen an einem stark aufspielenden Ensemble, das das Publikum mitreißt.

Herausragende Ensembleleistung

Im kahlen Bühnenraum von Davide Raiola, der nach hinten von einer Weltkarte abgeschlossen wird, agieren Chandrashekara Kempaiah und Larissa Voulgarelis in ihren Rollen als selbstbewusste Frauen, die für ihre Rechte eintreten. Devaki Rajendran spielt einen verletzten und deshalb wütenden Mann, wie insbesondere in einer Szene deutlich wird, in der er sich gegen die Kriminalisierung von Migranten durch Trump wehrt. David Smith spielt den Zweifler, der als Europäer die Welt Indiens verstehen möchte. Er fühlt sich in der Spielsituation fremd und möchte deshalb aussteigen.

Ein spannender Theaterabend, der hinter einem scheinbaren Exotismus eine Welt zeigt, die gar nicht fremd ist. Am Ende vereinen sich das Ensemble auf der Bühne und das Publikum im Zuschauerraum mit der Aufgabe, einen Liebesbrief zu schreiben: ein starker, intensiver Moment.