Eine Tänzerin wird von einem Tänzer zurückgebeugt. Im Hintergrund stehen Menschen in Anzügen an einem langen Tisch.

Von Streit, Neid und Gehzeit

Bridget Breiner / Richard Siegal: Soirée Ravel

Theater:Deutsche Oper am Rhein, Premiere:07.06.2025 (UA)Regie:Bridget Breiner, Richard SiegalMusikalische Leitung:Katharina MüllnerKomponist(in):Maurice Ravel

Vergehen, dann vergangen: Eine Premiere aus vier neuen Stücken bot das Ballett am Rhein in Duisburg. Mit Musik von Maurice Ravel blickte die „Soirée Ravel“ in die ungute alte Zeit. Neben Werken von Ballettchefin Bridget Breiner glänzten zwei von Gastchoreograf Richard Siegal.

Zu Beginn der „Soirée“ zeigen groß projizierte Fotos das alte Paris mit Kopfsteinpflaster, Soldaten an Bistro-Tischchen und massenhaftem Paartanz in langen Gewändern auf einer breiten Straße. Eingefrorener Frieden in Schwarzweiß. Ein Friedhof. Auf die bis auf einen schwarzen Flügel kahle Bühne stellen sich Tänzer:innen und schauen zurück. Eine sinkt plötzlich zu Boden, dreht sich dort um sich selbst, bohrt, steht plötzlich, dreht weiter, jetzt auf Spitze. Und wenn der vorher in den Kontrabässen und tiefen Bläsern brummende Klang, von Pauken ermuntert, grell wird, wird Simone Messmer in die Höhe gehoben.

Alina Bercu spielt Ravels „Konzert für die linke Hand“ am Flügel. Genauso großartig musizieren die Duisburger Symphoniker, dirigiert von Katharina Müllner. Die rechte Hand der Pianistin tut nichts. Aber das lässt sich Ravels Auftragskomposition für einen kriegsversehrten Pianisten nicht anmerken. Sie wütet, irrlichtert, aber weint nicht. Der Tänzer aber, der diesen Mann verkörpert, mit untätigem rechtem Arm, hat eine unfrohe Rolle zu verkörpern. Mit links stützt und lenkt er die Dame gekonnt bei Pirouetten und Arabesquen. Ihr gelingt es trotzdem nicht, ihn aufzumuntern. Als habe hier jemand das männliche Kraft- oder Kriegsgehabe satt.

Hantierende Gottheiten

Bridget Breiners Choreografie stellt eine Geschichte dar mit griechisch-antiken Göttergestalten und einer namenlosen fünfköpfigen Menge. Allesamt puristisch bekleidet (Bühne und Kostüm: Jean-Marc Puissant). Der Hergang ist schwer nachzuvollziehen. Wer wen lenkt und über den Menschen steht, wer etwas will und wer nicht oder nur mitläuft und nachmacht. Jene erhobene Tänzerin etwa stellt Mnemosyne dar, die Göttin der Erinnerung. Der (später) Einarmige, Márcio Mota, heißt „der junge Mann“. Ein kerniger Ares, Kriegsgott, macht auch mit.

Eine Tänzerin macht eine Rückbeuge über die Schulter eines knieenden Tänzers. Neben ihm liegt eine weitere Tänzerin auf dem Boden.

Bridget Breiners „Daphnis et Chloé, Suiten”. Foto: Altin Kaftira

Auch in Breiners „Daphnis et Chloé, Suiten“ hadern und hakeln die Gottheiten miteinander und mit Menschenfiguren, die sie mit Anrempeln und puppenhaftem Tragen in gewollte Konstellationen – Paarung, Liebe! – zu kriegen versuchen. Wo die Tänzer:innen beim Klavierkonzert mal die Hände vors Gesicht hielten, sind es hier Masken. Alle gleich. Diesmal tragen Tänzerinnen flatterige Kleidchen, die Tuniken ähneln. Wer da an Isadora Duncan denkt, die das Land der Griechen mit dem Barfußtanz suchte (wie Ravel mit der beschuhten Musik), erkennt kleine Zitate in wellenden Armen. Aber bei Breiner ist alles klassisches Ballett. Was sie an Modernität in ihre hölzernen Choreografien einbaut, sind Purzelbäume aus dem Stand, extreme Rückbeugen oder eine Frau wird am Fuß gepackt, während sie sich, auf dem anderen Bein balancierend, rückbeugt. Schwach sind die Frauen nicht, werden aber doch vermehrt gehoben oder umgekippt. Dafür sind die Männer da.

Zart, hart, smart

Maurice Ravels Musik tut nie so, als sei sie nur Gefühl, sondern setzt das Ausdruckmachen bewusst ein. Zeigt es her: das Stimmungswechseln, das Auf und Ab, die Idylle, das Tosen, Knallen, Kreischen und friedliche Flöten. Die Kunst-Fertigkeit. Ravel sammelte Musiken auf und schneiderte sie wie faszinierende Muster in seine Kompositionen. Oft spielerisch oder maskenhaft und mit Ironie.

Diesen Witz setzt Richard Siegal hier, ähnlich kunstfertig, in seinen Choreografien um. So spritzig hat man seinen Tanz lange nicht gesehen. Nicht gewohnt, zu orchestraler Musik zu choreografieren, musste er hier vielleicht derart verdichten und sich an Impulse anpassen, dass es nicht so prätentiös wirkt. Er kann auch flott. Zu Ravels betont verkorkstem Walzer „La Valse“ blättert der US-Amerikaner eine Geschichte auf. Ein rotbejackter Hypernervöser an einem festlich gedeckten Tisch, Orazio Di Bella, bekommt Gesellschaft. Ähnlich schick gekleidet, ist sie ihm willfährig, dienst- und scheuchbar. Bis! Die kleine Drehtür, eine lustige Hommage an „Café Müller“, einen Neuen in den Raum spuckt. Legeres Shirt. João Miranda. Offener Blick, weicherer, freierer Tanz.

Man kannte ja nur zackiges Speedy-Jackett-Ballett. Eine der Damen angelt sich Miranda, lehnt sich in seinen Schwung, fasst seine Hand, und Kuss. Die anderen hängen sich an seine Fersen, staunen, wollen das Neue. Der Chef aber kocht. Geifert. Lässt den neuen Beliebten auf dem nun längs gestellten Tisch regelrecht schlachten. Mit weißen Handschuhen, dem eifernden Beugen nach vorn und hinten der zwei sich gegenüberstehenden Reihen zitiert Siegal den „Grünen Tisch“ von Kurt Jooss, das berühmte „Antikriegsballett“ von 1932. Die Tänzer:innen spratzeln vor Tanzlust und Tempo, das sie hier in einen Fluss bringen können, in dem sie mit den Rollen der Unschlüssigen und Beeinflussbaren spielen.

Virtuose Karikatur

Schließlich zieht ihnen Richard Siegal den Boden unter den Füßen weg. Er verweigert dem „Boléro“ das Lüstern und den Kreis. Die zwölf Tänzer:innen in businessmäßigen Jacketts, laufen auf einem Band, so dass ihr Gehen nicht von der Stelle kommt. Halten sie an, verschwinden sie automatisch, rückwärts. Weggeräumt. Die Tüchtigen marschieren, weiter und wieder, Ellbogen gewinkelt. Einer ruckt die Brust raus, Bauch rein, Kinn vor. Als wolle er Vorbild sein. Ein Altbild. Einige schauen runter, lugen seitwärts. Die Emsig-Armee ist nicht komplett uniform. Andersartige Schritte tauchen auf, rückwärts, seitwärts mit kreuzenden Füßen. Hüften beulen aus, Schultern lockern sich: Jazz-Einsprengsel. Hurtigschrittchen. Zum Publikum gereckte Männerarme mit Spreizhänden erinnern kurz an den brunftigen „Boléro“ von Maurice Béjart. Dann bilden sich Zweier, die im Paartanz die Ungleichzeitigkeit überbrücken, hier Laufband, da Stabilboden, Hand an Hand, samt Drehung: Die Tango-Mania der 1920-Jahre. Die Zeit läuft. Ab?

Revolutionär hochgereckte Fäuste, die linken, wenn sich gegen Ende eine Menge bildet und das Fallen einsetzt, hintenüber, da wird Siegal unoriginell. Sein Boléro ist eine Skizze mit spitzer Feder, eine Übung mit Umständen. Macht Spaß. Eine einzige Faust überlebt.

Eine Person läuft von rechts nach links über die Bühne.

Yoav Bosidan in Richard Siegals “Boléro”. Foto: Altin Kaftira