
Uckermärkische Bühnen Schwedt: „Wir sind kein Bollwerk”
Foto: Luftaufnahme der Bühnen Schwedt © UBS Text:Detlev Baur und Ulrike Kolter, am 15. August 2024
André Nicke, Intendant der Uckermärkischen Bühnen Schwedt, zur politischen Situation in seiner Region vor den Landtagswahlen in Brandenburg.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Lieber André Nicke, im September stehen in Brandenburg Landtagswahlen an. Nach aktuellen Umfragen liegt die AfD vor dem BSW. Bereits im Juni fanden in Brandenburg Kommunalwahlen statt. Was hat sich in Schwedt seitdem verändert?
André Nicke Die ganze Landschaft verändert sich. In den letzten 30 Jahren waren die Mehrheiten klar, nun ringt man um Einzelkandidaten. Die AfD hat hier 29,1 Prozent geholt, die SPD noch 25 Prozent – viel für Brandenburg. Der neue Bühnenausschuss wird zwei AfD-, zwei SPD- und einen CDU-Vertreter haben. Das ist sehr konkret, macht mir aber keine Angst. Erst mal stehen wir uns als Menschen gegenüber.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Wie ist denn in Schwedt die Kulturpolitik der AfD einzuschätzen?
André Nicke Empirisch gibt es keine Ideologie. Da heißt es: „Wir lieben unsere Uckermärkischen Bühnen.“ Sie haben einstimmig für die Sanierung der Uckermärkischen Bühnen abgestimmt. Aber sie haben sich auf ein multikulturelles Zentrum in Templin gestürzt und wollen dort die Verwendung der Gelder prüfen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Ihr Theater setzt auf polnisches Publikum, spielt in Polen und veranstaltet mit Partnern aus Polen gemeinsame Festivals. Ist die starke Öffnung des Theaters Richtung Polen ein Problem für die AfD?
André Nicke Nein, hier ist es selbstverständlich, auch polnischsprachige Darsteller als Publikumslieblinge zu haben. Die ganze Regionalisierung ist auch im Dienstleistungssektor zu finden. Da gibt es keine Fremdenfeindlichkeit. Andere Gruppen haben wir hier allerdings nicht. Ich kann nicht damit punkten, mein Haus wäre so divers: Wir kommen auf fünf Nationen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Wie positionieren Sie Ihr Theater kulturpolitisch in der Stadt?
André Nicke Ich habe mich in der Coronazeit an die Agora erinnert, den öffentlichen Platz in der antiken Stadt, wo die Polis ihre wichtigsten Fragen diskutiert hat und aus dem sowohl die Theater als auch die Parlamente entstanden sind. Daraus habe ich ein Format entwickelt: Der Intendant lädt wichtige Menschen aus der Stadt ein, und wir sprechen über die Situation. Wenn Schwedt ein Patient wäre und läge auf der Couch, was würden wir raten? Ich habe Psychologen und Transformationsexperten eingeladen. Dabei war es mir immer wichtig, zwischen den Vertretern der Zivilgesellschaft und der Politik ein ausgewogenes Verhältnis zu gewährleisten.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Sie meiden also ausdrückliche politische Positionen?
André Nicke Ich meide ausdrückliche ideologische Positionen, muss nicht mit dem Zeigefinger unterwegs sein. Da ist oftmals ein Wettbewerb zwischen uns Theatern: Ich überbiete dich, weil ich noch cooler bin und noch mehr solche Stücke spiele. Lasst es uns mal spielerischer angehen! Vornehmste Funktion des Theaters ist das Vergnügen, sagt Brecht. Und die Rechnung bitte immer mit dem Publikum machen.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Die Uckermärkischen Bühnen sind also kein Bollwerk gegen die AfD?
André Nicke Wir sind ein Haus für alle Menschen und kein Bollwerk. Ein Bollwerk würde heißen, ich verteidige mein Haus gegen Eindringlinge. Wir versuchen, fluid zu sein und für viele unterschiedliche Zuschauer im besten Sinne Unterhaltungsangebote zu machen. Es macht mir Angst, wenn gesagt wird, Theater seien die letzten Räume, wo Dialog noch vorhanden sei und trainiert werde. Bitte nicht noch eine Aufgabe! Wir sind Theater. Wenn die Herrschenden nicht mehr in der Lage sind, mit dem Souverän zu kommunizieren, können wir das nicht übernehmen. Die Kunst kann nicht Mediator sein.

André Nicke, Intendant. Foto: Udo Krause
Ulrike Kolter und Detlev Baur Wie schätzen Sie die politische Stimmung in der Stadt ein?
André Nicke Ich nehme die Lage als starke Forderung des Souveräns nach einer Kurskorrektur wahr. Damit bewerte ich weder Rechtspopulisten noch Linkspopulisten. Das Grundgesetz muss die Majorität schützen. Aber im Augenblick ist die Erfahrung vieler Menschen, dass eine Minorität die Ansagen macht und ideologisch dominiert. Gehen wir wieder in Denkverbote? Carsten Brosda hat völlig zu Recht gesagt, es gehe zu weit, wenn die Berliner Justizsenatorin eine Gesinnungsprüfung für Künstler möchte.
DIE DEUTSCHE BÜHNE Was ist dann die Rolle des Theaters in der Gesellschaft?
André Nicke Die DDR hat ihr Bildungssystem am aufgeklärten Renaissance-Menschen orientiert. Deswegen hieß es auch Allgemeinbildende Polytechnische Oberschule. Es gab eine Vorstellung davon, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten der Mensch für eine funktionierende Gesellschaft erwerben muss, damit er sie verstehen und umgestalten kann. Verständigen wir uns in unserer Gesellschaft noch über so etwas wie den Menschen, den wir brauchen, damit wir freiheitlich, demokratisch, divers denken? Verständigen wir uns darüber, außer im Theater? Deswegen ist es für mich nach wie vor die Aufgabe des Theaters, abseits von Ideologie ein Menschenbild zu verhandeln, das genau diese Fähigkeiten hat, damit unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, die liberal ist und offen bleibt, weiterhin funktioniert. Die im Theater betriebene ästhetische Alphabetisierung, die früher prägen kann als über Buchstaben und Zahlen, ist unsere Aufgabe. Wenn wir die Demokratie am Hindukusch und in der Ukraine mit dem Militär verteidigen, wie verteidigen wir dann die Demokratie im Inneren?
DIE DEUTSCHE BÜHNE Die Landtagswahlen in Brandenburg stehen bevor. Sind die wichtiger für das Theater als die Kommunalwahlen?
André Nicke So ist es. Die Ministerien werden ja möglicherweise neu besetzt. Dann könnten kulturpolitische Leitlinien geändert werden, die die Ministerin gerade in einem Prozess für Brandenburg neu aufgestellt hat. Ich habe in den Regionalkonferenzen dazu immer darauf gepocht, dass die Freiheit der Kunst nicht durch parteipolitische Ideologien eingeschränkt werden kann.
DIE DEUTSCHE BÜHNE In Thüringen und Sachsen können die Theater wirtschaftlich relativ entspannt in die nähere Zukunft blicken. Wie ist das in Brandenburg?
André Nicke Im gegenwärtigen Zuwendungsvertrag fehlen mir eine Million Euro, die ich erwirtschafte und aus den Coronarücklagen nehme. Ab dem Haushalt 2026 muss das neue Parlament berücksichtigen, dass es schon jetzt ein strukturelles Defizit gibt. Man wusste schon vor zwei Jahren, dass große Tariferhöhungen kommen, die nicht mit eingepreist sind. Die große Frage ist also, was 2026 im Haushalt kommt, ob dann der Offenbarungseid für Brandenburg folgt. Thüringen und Sachsen sind schon viel weiter, ebenso Sachsen-Anhalt.
André Nicke ist in Bautzen aufgewachsen. Er leitet die Uckermärkischen Bühnen Schwedt seit 2019. Im Deutschen Bühnenverein engagiert er sich in zahlreichen Gremien und ist Mitglied in der Deutschen Musical Akademie.
Dieser Artikel ist erschienen in Heft Nr. 4/2024.