Alexanda Kotey (Timothy Connor) sitzt den Kopf in den Händen vergraben an einem Tisch. Links hinter ihm steht der tote Journalist James Wright Foley mit seiner Kamera.

Ein zutiefst menschlicher Handschlag

Charlotte Bray: American Mother

Theater:Theater Hagen, Premiere:31.05.2025 (UA)Vorlage:American Mother Autor(in) der Vorlage:Colum McCann, Diane FoleyRegie:Travis PrestonMusikalische Leitung:Joseph TraftonKomponist(in):Charlotte Bray

Sieben Jahre nachdem ein Video der Enthauptung des Kriegsreporters James Wright Foleys durch die Terrororganisation IS im Internet veröffentlicht wurde, stimmt Foleys Mutter dem Treffen mit einem der Täter zu. Komponistin Charlotte Bray vertont diese Begegnung in ihrer neuen Oper „American Mother“ und stellt die Positionen beider Parteien zur Diskussion: Gibt es hier Raum für Verständnis oder sogar Vergebung? Am Theater Hagen gelingt Regisseur Travis Preston eine ergreifende Uraufführung.

Neue Opern sind oft genug Eintagsfliegen. Einmal unter großem Pomp und mit einträglicher Förderung aus der Taufe gehoben, verschwinden sie oft genug in der Versenkung sobald sie abgespielt sind. Zu avantgardistisch, zu durchschnittlich oder auch zu banal sind zuweilen Musik und Stoffe. Zeitgenössische Stücke, die es ins Repertoire schaffen, sind selten. Kaija Saariahos Oper „Innocence“, diese Spielzeit in Gelsenkirchen auf dem Spielplan, ist so ein Stück. Aber auch „American Mother“ von Charlotte Bray, das just am Theater Hagen aus der Taufe gehoben wurde. Einmal mehr ist der Mut hervorzuheben, mit dem ein so kleines Haus wie Hagen unter schwierigsten Verhältnissen eine gewagte Spielplanpolitik betreibt. Obwohl die Premiere nicht ausverkauft war – was bei Neuer Musik zunächst einmal nicht verwunderlich ist – könnte Brays Oper doch das Zeug dazu haben, sich im Spielplan zu etablieren.

Das liegt zum einem an der Aktualität des Stoffes. Wie in Saariahos „Innocence“ wird ein Ereignis aufgegriffen, das weltweit für Entsetzen gesorgt hat. In Brays Fall ist das die öffentliche und via Internet in alle Welt verbreitete Hinrichtung des Kriegsreporters James Foley durch die Terrororganisation Islamischer Staat (IS). Das Video setzte eine Kette von Ereignissen in Gang, die eine weithin unerwartete Wendung nahmen: Foleys Mutter Diane traf einen der Terroristen des IS, der an der Hinrichtung mitschuldig war, mehrmals in einem amerikanischen Gefängnis und reichte ihm die Hand. Daraus machte der Autor Colum McCann zusammen mit James‘ Mutter ein Buch. McCann war es auch, der das Libretto zu Brays gut achtzigminütiger Oper geschrieben hat.

Perfekt aufeinander abgestimmt

Nicht immer ist es ein Glücksfall, wenn Autoren ihre eigenen Werke für die Bühne bearbeiten, doch in diesem Fall ist es zweifelsohne einer. Entstanden ist ein dramaturgisch sehr stringenter Plot, der sich streng auf die Ereignisse im Gefängnis beschränkt und geschickt durch fiktive Einblendungen von real existierenden Personen Hintergründe liefert. So taucht etwa der getötete James Foley selbst auf, ebenso wie die Mutter des Terroristen. Zunächst finden diese „Einblendungen“ auf einer übergeordneten Ebene statt, doch vermischen sie sich im Laufe des Stückes und interagieren – ebenso wie die Funktion des zunächst Off-Stage singenden, von Julian Wolf einstudierten Chores – immer mehr und enger mit den handelnden Personen.

Das ist ebenso raffiniert wie Brays Musik. Die spielt sich im Wesentlichen auf mehreren Ebenen ab. Zum einen schafft Bray eine Art Klangkontinuum: irisierende Klangwolken, die mal mehr, mal weniger intensiv aus dem Orchestergraben hervorquellen und kontinuierlich eine Art Klangfundament legen. Auf einer weiteren Ebene laufen orchestrale Interaktionen ab, die sich wie aus deinem Kontinuum ausbrechende Protuberanzen je nach Intensität der Handlung verdichten oder entspannen und auch mit den Solisten interagieren. Die Gesangslinien, die Bray für die Solisten schreibt, sind überwiegend sanglich, zuweilen hochemotional und je nach Figur auch sehr individuell. Insgesamt entsteht so eine ebenso unverkennbare wie facettenreiche Partitur, die zwar keine Ohrwürmer bietet, aber dennoch im Ohr bleibt. Dafür sorgt auch das Philharmonische Orchester Hagen, das Brays faszinierende Musik unter der Leitung von Joseph Trafton sehr genau und mit bezwingender Wucht ausleuchtet.

Herausragendes Ensemble

Inszenierung und musikalische Gestaltung lassen die Qualitäten dieses Stücks um so mehr hervortreten. Mit sparsamsten Mitteln inszeniert Travis Preston ein dramatisches Kammerspiel auf der von Christopher Barreca gestalteten Bühne. Ein Tisch, zwei Stühle und nur ganz wenige weitere Requisiten markieren den dramaturgischen Rahmen auf der leicht schräg gestalteten Spielfläche. Alles weitere liegt in der Hand der Protagonisten, und die sorgen an diesem Abend letztendlich dafür, dass dieses Stück so dermaßen unter die Haut geht. Katharine Goeldner zeigt als Diane Foley alle Facetten dieser zwischen Trauer, Wut, Verzweiflung, Vergebung und was auch immer zerrissenen Figur. Ihr dramatischer Sopran deckt dabei eben jene Facetten eindrucksvoll ab. Ihre Präsenz auf der reduzierten Bühne trägt nicht zuletzt den Abend, ebenso wie Timothy Connor, der als Alexanda Kotey zu beeindrucken weiß. Sein edel klingender Bariton ist ebenso sonor wie kultiviert, zudem spiegelt er die innere Zerrissenheit seiner Figur sehr nachvollziehbar wider.

Auch die übrigen Partien sind brillant besetzt. Roman Payer verkörpert die Figur des James Foley ausgezeichnet und mit eindringlichem, nie forciertem Nachdruck. Angela Davis spielt Koteys Mutter mit berührendem Schmelz und Dong-Won Seo gibt den hasserfüllten Gefängniswärter mit überaus glaubwürdiger Schärfe. Insgesamt ist dies ein herausragender Opernabend in Hagen. Charlotte Bray hat eine beeindruckende Oper geschrieben, die ebenso berührt wie nachdenklich stimmt. Und auch die szenische wie musikalische Umsetzung gelingt ausgezeichnet.