Foto: © Sebastian Hoppe
Text:Michael Kaminski, am 26. April 2025
Frank Castorf inszeniert am Staatsschauspiel Dresden eine Verschränkung von Heiner Müllers „Der Auftrag“ und Georg Büchners „Dantons Tod“. Das Polittheater unterhält, fordert zugleich und bleibt diskursnah, aber auch nostalgisch.
Das Versteck kann keines sein. Säuft sich Antoine, der Agentenführer aus Heiner Müllers „Der Auftrag“, im Pariser Café „Procope“ um den Verstand, so bietet er sich Napoleons Häschern, denen er doch vorgeblich zu entkommen sucht, auf dem Präsentierteller dar. Ohne viele Umstände kann ihn deshalb die Nachricht seiner Leute vom Scheitern des Revolutionsexports nach Jamaica erreichen. Macht aber nichts. Bald schon bevölkern Danton und die Seinen das legendäre Intellektuellencafé im Quartier Latin, dessen Name in Leuchtbuchstaben über dem Eingang prangt. Solche Gesellschaft pfeift auf Geheimhaltung und Konspiration.
Das „Procope“ wird zur Bühne, auf der das ganz und gar reale Polittheater mindestens den Unterhaltungswert dessen erreicht, womit die gegenüber gelegene Comédie-Française aufwartet. Für Frank Castorf und Bühnenbildner Aleksandar Denić bis heute: Fassade und Interieur locken mit jener nostalgischen, diskursfördernden Behaglichkeit, die anspruchsvollere Reiseführer ihren Leserinnen und Lesern noch immer und nur zu gerne empfehlen.
Revolutionäre hautnah
Das die Lokalität fortgesetzt erfüllende Fluidum der Revolution ermöglicht deren Geistern, sich fallweise zu materialisieren. Vor allem, wenn Büchners und Müllers dramatische Pranken zulangen. Noch im Scheitern der Akteure schimmert aus der Verschränkung von „Danton“ und „Auftrag“ Hoffnung hervor. Freilich braucht es dazu langen Atem, in Dresden – die Pause eingeschlossen – sechseinhalb Stunden. Castorf heißt seine Kameraleute Andreas Deinert und Julius Günzel der Personnage vor, ins und hinter das „Procope“ und gar nach Jamaica folgen, ihr indiskret und dicht auf die Pelle rücken und um’s Haar ins Gesicht springen. Zwar grenzt das an Körperverletzung, doch laden der aufs Ganze gehende politische Disput, der scharfe Kontrast der Lebenshaltungen, die Affektausbrüche und wechselseitigen Provokationen dazu förmlich ein. Fortschreitend verlagert sich dies im Blick durch die Fenster des Cafés oft allenfalls ahnbare Geschehen auf die Leinwand. Nach der Pause ist inflationär Kino. Hier, da und dort zeigt sich des Publikums Aufmerksamkeit erst nach kurzem, aber erholsamem Theaterschlaf wiederhergestellt. Nicht zuletzt für die Hingucker-Mixtur aus modischen Versatzstücken der Revolutionsjahre und heutiger Garderobe, in die Adriana Brager Peretzki das Ensemble steckt.

Uniformiert, doch uneins. Desmoulins, Robespierre, Danton. Foto: Sebastian Hoppe
Moralapostel gegen Epikureer
Spielerisch ist der Abend eine Wucht. Jannik Hinsch verkörpert in jeder Hinsicht den Genussmenschen Danton. Einen Feinschmecker des Wortes, der Gedanken und der Liebe. Menschlicher Anstand bedeutet ihm keine moralische Schwerstarbeit, vielmehr Ausweis guter Manieren. Bei Franz Pätzold ist der vermeintliche Tugendbold Robespierre ein Hitzkopf, dessen Sittenstrenge Feuer an die eigene Seele legt. Ein Rigorist, für den selbst das Fallbeil Funken sprühen soll. Alle weiteren Spielenden agieren mit denen des Feindespaares auf Augenhöhe.
Übrigens grenzt ans „Procope“ ein äußerlich unscheinbarer Waffenladen, dessen hochaktueller Bestand an Schnellfeuerwaffen vor der US-Konkurrenz nicht scheuen muss. Ein Durchlass verbindet Café und Arsenal. Intellektueller Disput und Waffengewalt hausen Tür an Tür.