Demonstration vor dem Juliusz Slowacki Theater in Krakau

Polens Theaterwelt in Aufruhr

In den letzten Tagen dominiert der Hashtag #theatergehoertuns die polnische Theaterwelt. Anlass dafür ist die nun offen ausgesprochene Kündigung des Leiters des Theaters Juliusz Slowacki in Krakau. Polenweit verlesen Schauspieler nach den Vorstellungen Solidaritätsbekundungen mit dem Slowacki Theater, die verantwortlichen Politiker werden von Petitionen überschüttet.

Am vergangenen Wochenende fanden Protestdemonstrationen vor und im Theater Slowacki in Krakau statt. Die Stimmung ist aufgebracht, denn alle Beteiligten wissen, dass hier der nächste große Zensur-Schritt stattfindet, der womöglich die Zukunft polnischer Bühnen unter der PiS-Regierung neu regelt.

Nach vier Jahren Regierens, nach rapide veränderten Strukturen der öffentlich-rechtlichen-Fernsehsender, Änderungen der Schulbücher und Kontrolle der Filmförderung begann die PiS (Recht und Gerechtigkeit, die in Polen regierende national-konservative Partei) massiv in den Kunstbetrieb einzugreifen. Zuerst bei den Museen – in den letzten Monaten wurden mehrere Leiter durch linientreue Apparatschiks ausgetauscht – nun sind Theater dran.

Was ist passiert?

Im November 2021 fand am Juliusz Slowacki Theater in Krakau die Premiere von Mickiewicz’s „Dziady“ (Totenfeier) statt. Das polnische Nationalepos, 1832 bis 64 geschrieben, ist die Beschreibung vom Martyriums Polens, dessen Wiedergeburt und dem Kampf gegen eine feindliche Obrigkeit. Über Jahrzehnte waren Inszenierungen der Totenfeier immer eine Spiegelung der polnischen Polit-Realität. 1968 führte die Absetzung einer „Dziady”-Inszenierung zu Studentenunruhen.

Maja Kleczewskas Inszenierung ist eine bildgewaltige, kluge und wütende Analyse der polnischen Wirklichkeit. Ihr wichtigster Kunstgriff ist die Besetzung der Figur Konrads – vermutlich der wichtigsten polnischen romantischen Heldenfigur, eines Widerstandskämpfers und Freigeistes – mit einer Frau. Sie und ihre Mitgefangene (ebenfalls alle mit Frauen besetzt) holen die Inszenierung ins Hier und Heute: In Polen versucht die nationale Regierung Kontrolle über Frauenkörper auszuüben, mit dem restriktivsten Abtreibungsgesetz Europas, die Proteste der letzten Jahre gegen die Aufhebung der Rechtsstaatlichkeit in Polen wurden von Frauenverbänden organisiert.

Die regierende Partei und ihre Vertreter aber können mit solchen Bildern und solcher Analyse nicht umgehen. Sie, die den Anspruch für sich erheben, zu kommunistischen Zeiten für die Freiheit des Wortes eingetreten zu sein, reagieren auf solche Kritik in der Kunst reflexhaft: mit Ablehnung und Verbot.

Kurze Zeit nach der Premiere lässt die Vorsitzende der Schulaufsicht der Woiwodschaft Kleinpolen einen Tweet ab, in dem sie der Inszenierung antipolnische Tendenzen vorwirft. Einen Tag später spricht ihre Behörde eine offizielle Weisung an die Lehrer aus: Vom Besuch der Inszenierung sei Abstand zu nehmen, sie sei von „Personen gemacht, die wider die polnische Staatsräson arbeiten”.

Kurze Zeit später spricht sich der Bildungsminister in Warschau gegen die Inszenierung aus, einen Tag später auch der Kulturminister. Alle drei Politiker geben zu, den Abend nicht gesehen zu haben, sind sich aber einig, dass man so nicht mit „Nationalgütern” umgehen kann.

Wird doch kein Staatstheater: Das Theater Juliusz Slowacki

Das Theater Juliusz Slowacki in Krakau ist ein Landestheater. Es bestand der Plan, es in ein Staatstheater umzuwandeln – die Verträge waren vorbereitet, die Woiwodschaft und das Kulturministerium waren sich einig. Im Dezember jedoch kam die Nachricht aus Warschau: Das Ministerium tritt von der Verabredung zurück. Klar scheint, dass es eine Strafe für die ungewollte Inszenierung ist.

Damit fehlen dem Theater ab sofort 3000000 Zloty (ca. 662 000 Euro). Ein sofortiger Premierenstopp für 2022 ist die Folge, es fehlt Geld, um Strom und Gasrechnungen zu zahlen, das Theater wird in die Handlungsunfähigkeit getrieben. Es gibt sich aber nicht geschlagen: Über Crowdfunding wird Geld gesammelt.

Daraufhin will der Direktor die Bühne im April einer bekannten polnischen Sängerin zur Verfügung stellen: Maria Peszek, eine ehemalige Schauspielerin, ihr Vater spielt in „Dziady“ eine der Hauptrollen. Peszek ist eine bekennende Kirchenkritkerin und Feministin. Die Landesregierung bestellt den Theaterdirektor ein und verlangt die Absage des Konzerts.

Laut der polnischen Verfassung sowie der Gesetzgebung sind Kulturinstitutionen unabhängig und inhaltlich weisungsungebunden von ihren Dienstherren. Als der Theaterdirektor sich darauf beruft und nicht einwilligt, leitet die Landesregierung ein Dienstaufhebungsverfahren gegen ihn ein. Der Vorwurf: Die Vulgarität der Lieder Maria Peszeks würde das Ansehen des Hauses beschmutzen.

Es droht die Kündigung des Theaterleiters

Noch ist das Verfahren nicht abgeschlossen, aber die Protagonisten am Theater sind sich einig – eine Kündigung ist kaum noch abzuwenden. Mit diesem Vorgang sendet die PiS-Partei ein klares Leuchtsignal an alle Theater Polens: Macht nichts, was wir nicht wollen, sonst entziehen wir euch die Lebensgrundlage.

Die polnischen Rechten verstehen unter Kunstfreiheit nur eins: Unterordnung unter nationale Doktrinen und Vermeidung jeglicher Kritik am Staatswesen, der polnischen Geschichte sowie der Kirche. Die Zensur findet aber eben nicht offen statt, sonder hybrid: über finanzielle Repressalien, Personalpolitik und letztendlich einen Druck, der die Kunstschaffenden zur Selbstzensur treibt.

Jetzt wehren sich die Schauspieler und die Theater: #dastheatergehoertuns verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch die polnischen Bühnen. Ob die Theaterschaffenden damit Erfolg haben werden, steht in den Sternen: Die polnischen Nationalisten in der Regierung wissen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung hinter sich. Das macht sie selbstsicher und skrupellos im Angriff auf die Kunst- und Meinungsfreiheit.

Der Autor Wojtek Klemm wurde 1972 in Warschau geboren und lebt in Berlin. Seit 2005 Arbeit als freier Regisseur in Polen, Israel und dem deutschsprachigen Raum, u.a. am Schauspiel Stuttgart, dem Deutschen Theater Berlin, der Volksbühne Berlin, dem Theater Luzern und dem Theater Neumarkt in Zürich.