Foto: "Moses und Aron" an der Semperoper Dresden: John Tomlinson (Moses) und Lance Ryan (Aron) © Ludwig Olah
Text:Ute Grundmann, am 28. September 2018
In einem riesigen Raum aus weißen Holzbohlen stehen Moses und Aron so weit wie irgend möglich voneinander entfernt, wie durch Welten voneinander getrennt. Noch herrscht lange, absolute Stille, bis die Musik fast zögernd einsetzt. Schon da ist klar: Zwischen diesen ungleichen Brüdern wird es einen Kampf der Stimmen und Charaktere geben. So beginnt in der Semperoper Dresden Calixto Bieitos Inszenierung von Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ – seinem 1951 uraufgeführten, unvollendet gebliebenen Werk.
Es wird ein nur äußerlich kühler, von menschlichen und musikalischen Spannungen geprägter Abend. Die Spannungen äußern sich auch mal in kleinen Details: Da wirft Aron seine Schuhe nach Moses, eine beleidigende, verachtende Geste, weil jener sich nur zögerlich der gerade gewonnenen Freiheit des jüdischen Volkes annimmt („Wer bin ich, mich der Macht der Blindheit entgegen zu stellen?“), während Aron drängend vorwärts will. Das besagte Volk ist im wunderbaren Raum von Rebecca Ringst, der zunächst die hintere Wand offen lässt, keine anonyme Masse. Der Riesenchor – bestehend aus dem Sächsischen Staatsopernchor Dresden, dem Vocalconsort Berlin, dem Sinfoniechor Dresden, dem Kinderchor der Sächsischen Staatsoper Dresden, einstudiert von Jörn Hinnerk Andresen, David Cavelius, Claudia Sebastian-Bertsch – lässt lauter Individuen erkennen, die um ihren weiteren Weg streiten, bangen, flehen und hoffen, sich stützen und schützen. Sie schwanken zwischen dem Glauben an die Macht Arons und dem mächtigeren Moses, sind bereit, mal diesem, mal jenem zu folgen. Sie tragen heutige Alltags- und Arbeitskleidung (Kostüme: Ingo Krügler); da braucht es keinen weiteren Hinweis auf die nicht nur hierzulande anwachsende, salonfähiger werdende Judenfeindlichkeit. Das denkt Bieitos Inszenierung immer mit.
Aus dem zunächst gedämpft-gespannten Disput zwischen dem grandiosen John Tomlinson als Moses und dem guten Lance Ryan als Aron entwickelt sich ein verbissener (Aron) und ein zögernd nachdenklicher (Moses) Kampf um die gewonnene Freiheit der Juden. Während Moses kein schwankendes Volk will, findet Aron gerade das liebenswert – da sind wieder die, sängerisch brillant ausgedrückten, Welten zwischen beiden. Unterstützt, ja befeuert nicht nur durch den Chor (je drei Sängerinnen und Sänger sind in den Logen postiert), sondern auch durch die Staatskapelle Dresden unter Alan Gilbert. Mal mit dem Kontrast zwischen dunklen Bläsern, hellen Frauenstimmen und weich-schrillen Streichern, mal mit aufgeregtem Schlagwerk und Streichern oder vom Schlagwerk getriebenen Bläsern lotet das Orchester die Komposition Schönbergs brillant aus, zwischen Heilsschrei und Verzweiflung.
Am Ende lässt Calixto Bieito eine Lore lauter Kieselsteine auf die Bühne kippen, jene kleinen Steine, wie man sie auf jüdische Grabsteine legt. Und bevor auch dieser Aktschluss fast brutal ausgeblendet wird, ist der weiße Raum wieder geschlossen, das jüdische Volk erneut gefangen.