Szene aus "Eleni"

Zwischen Felsen verloren

Nestor Taylor: Eleni

Theater:Theater Erfurt, Premiere:03.12.2022 (UA)Vorlage:nach dem gleichnamigen BuchAutor(in) der Vorlage:Nicholas GageRegie:Guy MontavonMusikalische Leitung:Myron Michailidis

Dass Guy Montavon, Intendang des Theaters Erfurt, bei seinem aktuellen Spielzeitmotto „Erkenne dich selbst“ in der Geschichte Griechenlands bis auf den mythischen Urgrund zurückgeht, liegt auf der Hand. Richard Strauss`hat dafür mit seiner „Elektra“ das populäre Prunkstück auf dem Silbertablett präsentiert. Der aktuelle Spielplan wendet sich nun auch einem Kapitel der Geschichte des modernen Griechenlands zu, das hierzulande weniger bekannt ist. Inhaltlich ist Montavon damit so politisch wie als Intendant ehrgeizig.

Ein Stück über die Folgen kriegerischer Entgleisung einer Gesellschaft für das Leben einzelner ist heute (leider) aktueller und brisanter denn je. In Griechenland selbst dürfte ein deutlich parteiergreifendes Stück, wie es die neue Oper des australisch griechischen Komponisten Nestor Taylor (*1963) ist, wohl ähnliche Kontroversen auslösen, wie es schon nach dem Erscheinen des zugrunde liegenden Romans von Nicholas Gage in den 80er-Jahren und auch nach dessen Verfilmung der Fall war.

Kommunistische Partisanen, die 1948 Kinder aus Familien ihres Einflussbereiches in Staaten verschickten, mit deren politischem System sie sympathisierten, sind das eine, aber dass sie eine Mutter von fünf Kindern exekutieren ließen, die sich dem widersetzte und dafür sorgte, dass ihr Sohn Nicholas in den USA seine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben bekam, ist etwas anderes. Wenn Gage dann als Autor und erfolgreicher Enthüllungsjournalist anfängt zu recherchieren, dessen Ergebnis zum verfilmten Bestseller und schließlich zur Oper wird, in der er selbst sozusagen den Rahmen vorgibt, dann waltet hier natürlich in besonderem Maße die Parteinahme für das Opfer, die nachvollziehbar ist, aber per se nicht aufs Differenzieren aus sein kann.

Aus vielen Quellen

Das englischsprachige Libretto, das Fergus Currie aus der Romanvorlage destilliert, also einer im wesentlichen historisch verbürgten Lebenstragödie abgelauscht hat, steuert klar und zielstrebig auf den Tod der Titelheldin zu. Und die Erfurter Uraufführungsinzenierung von Hausherr Guy Montavon in dem atmosphärischen Landschaftsbühnenbild und der historischen Kostümierung von Ausstatter Eric Chevalier geben dieser klaren Struktur den angemessenen Rahmen. Zwei bewegliche Seitenwände mit Felsendekor – hinten eine Projektionswand unter anderem für die Dorfkirche. Daneben, als Rahmen, ein Schreibtisch, an dem der in Amerika lebende Nicholas (mit eindringlicher Eloquenz Tenor Brett Sprague) im Jahre 1963 die Ergebnisse seiner Recherche (und Erinnerung) in seine Schreibmaschine tippt.

Taylors Musiksprache speist sich aus vielen Quellen. Sie treibt das Parlando sicher voran, ist aber vor allem wenn der Chor einbezogen wird von demonstrativ emotionalem Pathos und nutzt den großen neoromantischen Orchesterton. Folkloristische Elemente hat er selbst hinzuerfunden und integriert. Wenn im Text Amerika erwähnt wird, scheut er sogar vor musicalhaften Anklängen nicht zurück.

An der Oper Erfurt werden Uraufführungen traditionell bewusst mit der ganzen Kraft des Hauses ernst genommen. Im konkreten Fall steht mit dem Ex-GMD des Orchesters Myron Michailidis sogar ein Grieche am Pult für Authentizität ein. Als Eleni füllt Jessica Rose Cambio die Rolle der Mutter, die mit dem Mut der Verzweiflung ihre Kinder so zu schützen versucht, wie sie es für richtig hält, mit bewundernswerter Intensität aus. Von der gezeigten Liebe zu den Kindern, übers listige Taktieren, bis zum Ertragen von Misshandlung, ja Folter.

Tristan Blanchet ist als ihr mutiger Cousin Lukas Ziàras an ihrer Seite. Auf der Gegenseite stellen Máté Sólyom-Nagy als Anführer der Rebellen und Kakhaber Shavidze ihr gestalterisches und vokales Charisma in den Dienst der exemplarisch dunklen Seite der Macht. Auf der sich auch Valeria Mudra als junge, besonders fanatische Rebellin Milia hervortut. Vor allem in den Tableaus verkörpert der von Markus Baisch einstudierte Chor die schwankende und sich der Macht anpassende, manchmal auch andienende, dann wieder widerstehende Rolle des Volkes.

Der Kritiker besuchte die Generalprobe.