Rolando Villazón (Hoffmann), Angela Brower (La Muse, Nicklausse), Ensemble und Chor in „Les Contes D’Hoffmann“ an der Bayerischen Staatsoper.

Zu wenig Rausch, zu wenig Abgrund

Jacques Offenbach: Les Contes d’Hoffmann

Theater:Bayerische Staatsoper, Premiere:31.10.2011Autor(in) der Vorlage:E.T.A. HoffmannRegie:Richard JonesMusikalische Leitung:Constantinos Carydis

Im Schlussapplaus schleuderte er sein heftig klopfendes Herz mit einer Riesengeste ins Publikum. Dann warf er beide Arme in die Höhe und stieß einen befreiten Urschrei aus – ja, er hatte es geschafft: Rolando Villazón zeigte speziell im schönem Piano, dass sein Tenor gesund ist. So glänzten auch alle Spitzentöne. Dazu taumelte, rannte, stolperte und tanzte er mit viel von seinem auch früher überbordenden Spieltalent durch die Szenerie. Nach dem Abschied von Neil Shicoff ist Villazón derzeit der überzeugendste Interpret des Dichters Hoffmann und dessen neurotisch extrovertierter Zerrissenheit.

Neben ihm verkörperte Diana Damrau erstmals nach ihrer Babypause alle vier Frauengestalten. Da muss das erste Kompliment an Buki Shiff und die Kostüm- wie Maskenabteilung der Staatsoper gehen: bestechende Verwandlungen von der Operndiva Stella – vor allem in dem Mix aus grässlich blondierter „Barbie im Ballkleid“ als automatenhaft agierende Halbkörper-Olympia hin zu schwindsüchtigen Sängerin Antonia in Schwarz-Weiß, dann zur leider nur mäßig verruchten Kurtisane Giulietta und zurück in Stella. Diana Damrau kann das alles singen, am virtuosesten die Olympia mit ihren PC-bedingten Ton-Störungen. Bei Besetzung mit drei rollendeckenden Sängerinnen kann Antonia lyrisch beseelter und im Todes-Terzett expansiv üppiger, die Giulietta verrucht dunkler klingen. Doch die dramaturgisch motivierte Verkörperung von drei Frauentypen in einem Star gelang Diana Damrau sehr gut, wenn auch „ausbaufähig“. Den herzlichsten Jubelsturm erntete allerdings Angela Brower als Niklas-Muse im alter-ego-Look zu Hoffmann: ihr jugendlicher Enthusiasmus für die Rettung des abstürzenden Künstlers Hoffmann durchglühte Spiel und Stimme – das gelungenste Debüt des Abends.

Dahinter blieb alles Übrige zurück, am schmerzlichsten die Verkörperung der vier Gegenspieler Hoffmanns durch John Relyea: trotz überragender Bühnenerscheinung fehlte ihm in Spiel und Stimme, gipfelnd in einer blassen Diamanten-Arie, die nötige abgründige Faszination. Das mag auch an Giles Cadles Bühne und Richard Jones Inszenierung liegen. Nach dem ersten Moment – Villazón sitzt wie Spitzwegs Poet in einer ärmlichen Ecke – erwies sich Cadles Einheitsbühnenbild als zu großer Raum, um darin trotz aufwändiger Detailverwandlungen und ausgearbeiteter Lichtregie die vier Lebensstationen als Phantasmagorien des Dichterhirns oder als halbreale Erinnerungsbilder oder echte Schauplätze faszinierend vorzuführen. Gelungen wirkten eher Einzelzüge wie rasche Umbauten durch den spielfreudigen Staatsopernchor und überraschende Auftritte aus „unsichtbaren“ Tapetentüren.

Aber vor allem die Schlusssequenz mit dem zwar klangschönen, aber dramaturgisch stimmungstötenden A-capella-Chor, dem nur stummen Stella-Auftritt und dem Reigen aller früheren Figuren machte weder den Durchbruch Hoffmanns zum überragenden Künstler der „Schwarzen Romantik“ noch sein definitives Scheitern anrührend oder gar erschütternd deutlich. Da hätte der ansonsten glänzend straff, akzentuiert und stetig befeuernd dirigierende Constantinos Carydis aus den Möglichkeiten der Werkfassung von Michael Kaye auf einem musiktheatralisch überzeugenderen Finale bestehen müssen – der fast uneingeschränkte Publikumsjubel wäre noch größer gewesen. (Am 21. November überträgt „arte“ die Neuinszenierung live aus dem Nationaltheater.)