Foto: Glücksrad zum Auftakt © Knut Klaßen
Text:Michael Laages, am 21. Mai 2022
Die Regisseurin Monika Gintersdorfer und der Raum-Künstler Knut Klaßen sind vor kurzem mit dem Preis des Internationalen Theater-Instituts ITI ausgezeichnet worden; speziell in der gemeinsamer Arbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus den Ländern Westafrikas haben die beiden seit Jahren stilbildend gewirkt. Sie arbeiten mit eigenen Ensembles und haben eine Art künstlerischer Basis am Theater Bremen. Demnächst wird dort (und in der Hamburger Kampnagelfabrik) „Nana“ gezeigt, eine Arbeit, die auf Werken von Emile Zola und Virginie Despentes fußt. Jetzt hatte in Bremen nach langer, pandemiebedingter Wartezeit endlich „Woyzeck“ Premiere, nach Büchners Klassiker und mit diesem rätselhaften Untertitel versehen: „Ein Singspiel für die, die nicht an die Macht wollen“.
Wie bitte? Kurz vor Schluss beginnt das Ensemble darüber zu diskutieren, wie und warum das alles begann. Ob denn Büchners „Woyzeck“ nach 185 Jahren überhaupt noch aufgeführt werden solle, wird gefragt – wo doch jedes Mal von neuem der Mord an einer Frau im Mittelpunkt stehe; das Ensemble benutzt dafür den nicht ganz unumstrittenen Begriff „Femizid“ … und ob das Stück nicht eigentlich „Marie“ heißen müsse, nach dem Opfer.
Wer ist das wahre Opfer?
Aber – so die Gegenposition – gehe es denn nicht immer noch um beides, um beide Formen von Opfer-Tum: um die tote Frau und den von der Gesellschaft so schändlich und eben auch mit Gewalt zugerichteten, zum Täter konditionierten Mann Woyzeck. Uns, das von ziemlich viel „Diskurs“ nach zwei, gefühlten drei Stunden vielleicht auch schon etwas erschöpfte Publikum, fragt das Ensemble schließlich, ob wir was mit dem sonderbaren Untertitel anfangen könnten.
Klare Antwort, klares Nein. Vielleicht passt ja „Singspiel“ noch – denn vom elektronischem Maschinenpark aus donnert viel Sound durchs Theater, und es wird dazu rappig-rockig gesungen; aber Fragen nach Macht und Macht-Verweigerung stehen an diesem ziemlich zähen Abend nicht zur Diskussion. Pfiffig und effektvoll allerdings ist die Idee vom Beginn – weil es so viele verschiedene Fassungen von Büchners „Woyzeck“ gebe und das Original eh Fragment geblieben sei, solle die Aufführung nach dem Zufallsprinzip beginnen. Das „Glücksrad“ wird gedreht: ein auf die Bühne gelegter Dreiflügler wie zur Windenergie-Gewinnung, der durch Menschenkraft auf Touren gebracht wird. Auf wen danach einer der Flügel zeigt, der oder die fängt an – die Aufführung markiert für ein paar Minuten (und später noch einmal) Unvorhersehbarkeit. Dann kommt auch Alban Bergs „Wozzeck“-Oper ins Sing-Spiel.
Überfrachtetes Konzept
Das Konzept von Gintersdorfer und Klaßen will sehr viel – zunächst ist Woyzeck, der Mann, eine Frau; später aber (wenn Gintersdorfers Partnerin und Partner aus Cote d’Ivoire in den Mittelpunkt rücken) mutiert Woyzeck wieder zurück zum Mann. Die Aufführung zitiert wichtige Teile von Büchners Personal: Woyzeck und Marie, den Tambourmajor (als Frau), Doktor und Hauptmann (immer als Männer); andere (Woyzecks Freund Andreas etwa und vor allem die Großmutter im Finale) lässt sie weg – stattdessen erzählen Ensemble-Mitglieder von eigenen, sehr persönlichen Erfahrungen mit Ausgrenzung, in der Familie oder im gesellschaftlichen Alltag. Einen kleinen „Zitterkurs“ gibt’s auch – vom Zittern des Täters Woyzeck sollte ja auf dessen Unzurechnungsfähigkeit geschlossen werden in Gutachten und Prozess des originalen Mordfalles. Informiert wird statistisch-journalistisch auch über die aktuelle Zahl von Morden an Frauen und die Bremer Präventionsangebote gegen Gewalt innerhalb und außerhalb von Beziehungen. Um Büchners berühmte Szene mit dem rechnenden Pferd zu sehen, wandert das Publikum hinaus auf den Theater-Hof, einige Szenen sind auch auf die Seitenbühne verbannt – die Musik-Maschine rollt dann immer mit.
Das Stück allerdings geht zwischendrin komplett verloren; das Stück als dramaturgisch-szenische Behauptung jedenfalls, von Büchner und über Büchner hinaus, ist an diesem ziemlich zerhäckselten Theaterabend nicht zu sehen; was aber eher schade ist und auch ein bisschen ärgerlich – denn jeder taugliche Umgang mit dem Stoff führt doch eigentlich automatisch hin zu all den Themen, die auch Gintersdorfer Truppe jetzt auffächert, angestrengt und anstrengend. Gar nicht zu denken an geniale Interpretationen und transkulturelle Überhöhungen wie „Woyzeck on the Highveld“, die frühe, atemberaubende Arbeit vom südafrikanischen Theater-Zauberer William Kentridge… Vielleicht ist ja Woyzeck selber, Büchners Fragment, letztlich stärker als jeder Diskurs.