Foto: Nina Wolf in Aris Argiris in "Das Rheingold" am Staatstheater Braunschweig. © Thomas M. Jauk
Text:Andreas Berger, am 9. Oktober 2022
Als Wotan wieder mal das alte Märchen von seiner großen Liebe und den Verträgen als neuer Grundordnung menschlichen Zusammenlebens beschwört, platzt Brünnhilde der Kragen. Mit trotzigem Ton wirft sie ihm Heuchelei und Selbstbetrug vor. Es ist eine wortreiche Salve, die Schauspielerin Nina Wolf dem Göttervater entgegenschleudert, voller Ungerechtigkeit und wütender Besserwisserei, wie sie enttäuschte Liebe hervorbringt. Die Lieblingstochter sieht sich und die Zukunft ihrer Generation verraten durch Wortgeklingel, Mythen, Melodien, Harfen, rettende Helden und Liebesgesäusel. Das will sie alles nicht mehr!
Ähm, wir sind hier trotzdem im „Rheingold“ von Richard Wagner. Die Musik hat im Staatstheater Braunschweig mal ein paar Minuten Pause. Das wird es noch ein zweites Mal geben, wenn der wie ein devotes Tier unter Alberichs Füßen wimmernde Hagen des Luca Füchtenkordt zu einem nämlichen Monolog ansetzt – aber nicht gegen den ausbeuterischen Vater, sondern dann, wenn dieser Möchtegern-Player ein zweites Mal von Wotan und Konsorten gedemütigt wird. Das erste Mal haben die Anzugträger aus Walhall den nackt auf den Schreibtisch Gefesselten geschändet, als er, von Wotan animiert, den Rheintöchtern nachstellte. Das zweite Mal nun, als sie ihm den in Schmerz errungenen Ring abnehmen. Auch Hagen kotzt sich aus gegen den übergriffigen Gesetzgeber, wütet gegen das System, ein Wutbürger aus verletzter Eitelkeit, der uns womöglich als rechtsextremer Attentäter in der „Götterdämmerung“ erneut begegnen könnte.
Denn am Staatstheater Braunschweig wird Wagners „Ring des Nibelungen“ in allen Sparten verhandelt. Nur in „Rheingold“ und „Götterdämmerung“ erklingt Wagners vollständige Musik, die „Walküre“ wird von Caren Jeß zum Schauspiel umgeschrieben und „Siegfried“ zum Tanzstück von Gregor Zöllig mit neuer Musik von Steffen Schleiermacher. Die Tänzer, Schauspielerinnen, Sänger sollen auch durch die Abende wandern.
Im Sinne Wagners
Die in Valentin Schwarz’ Bayreuther Familien-Saga noch stumme Zeitzeugen waren, erhalten in Isabel Ostermanns Braunschweiger Inszenierung Texte aus der „Ring“-Überschreibung von Thomas Köck. Und die sind ziemlich penetrant, einseitig, extremistisch, aber entsprechen durchaus Wagners Intentionen. Nur entwickelt Wagner die Demontage des Zivilisators Wotan ausführlicher, diskreditiert sein Ringen um eine Weltordnung nicht von vornherein nur als egoistisch, zeigt aber ebenso die Grundfehler wie Naturschändung und Gesetzesübertretung auf. So dass nur die „Götterdämmerung“ bleibt und die Hoffnung auf eine neue Generation, die frei und trotzdem verantwortlicher handelt, eine ungewisse Aussicht.
Zumal wenn diese Brünnhilde Musik und Liebe, aus denen Heilung erwachsen könnte, verdammt. Das ist Ökologie ohne Empathie, auch wenn sie Wotans (Berliner) Stadtschloss-Dia wegzappt zugunsten eines Waldmotivs. Die zarte Nina Wolf spielt die Aktivistin mit einer selbstzerstörerischen Härte, die auf die Selbstopferung der von Wagner früh als Revolutionärin konzipierten Figur im Weltenbrand verweist: Mit der Fackel in der Hand und Wagners Götterdämmerungs-Schlusssätze schreiend steht sie am Ende des Braunschweiger „Rheingolds“ Wotan mit dem Gesetzesspeer gegenüber: Walhall muss brennen, damit eine neue, gerechtere Welt werde, die Wagner dort im Liebesmotiv verheißt.
Wagner hat auch im „Rheingold“ selbst die Mahnungen eingebaut, mit dem Warnruf Erdas etwa oder den Klagen der Naturnixen aus der traulichen Tiefe. Insofern sind die zusätzlichen Wortbeiträge hier redundant, aber durchaus zuspitzend. Es ist gut, dass Ostermann einen Blick auch für Zärtlichkeit hat, wenn Erda (Marlene Lichtenberg) ihre und Wotans Tochter Brünnhilde dem Chefgott helfend an die Hand gibt. Oder wenn die gedemütigte Freia (Ekaterina Kudryavtseva) von dem verliebten Fasolt mit einer Jacke bedeckt wird, sie später dem Ermordeten die Hand hält. Und Srba Dinić unterfüttert die gefühlvollen Seiten der Figuren, wenn er etwa Catriona Morisons weich flutende Stimme als liebevolle Fricka zart begleitet.
Überzeugendes Ensemble
Das Ensemble des Staatstheaters kann mit einer Textverständlichkeit aufwarten, an der sich große Häuser ein Beispiel nehmen könnten. Dinić entfaltet mit dem bestens disponierten Staatsorchester einen prächtigen Klang, der niemals dick oder weilend wird, sondern in gutem Fluss weitertreibt. Dabei holt er immer wieder charakteristische Stellen hervor, etwa die lügend sich umspielenden Flöten und Oboen zu Loges rhetorischen Finessen in Nibelheim. Thomas Mohr gestaltet diese Rolle mit variablem Tenor ohne Gehässigkeit: Er geht einfach auf die Schrullen seiner Gesprächspartner ein und zittert vor Alberichs Riesenwurmerscheinung, obwohl die gar nicht klappt. Michael Mrosek singt den betrogenen Aufsteiger mit machtvollem Bassbariton, schön und ohne Drastik, stimmlich ein Gott auch er, was zum Regieansatz passt, dass Licht- und Schwarzalbe sich ziemlich ähnlich sind, nur eben unterschiedliche Lebenschancen hatten.
Aris Argiris stattet den Wotan mit prächtigem Walhall-Gruß aus, kann seinen Bariton immer wieder schön weiten, spart aber auch an mancher Stelle. Gut heben sich Rainer Meseckes modulierter Bass als Fasolt und Jisang Ryus füllig rund tönender Fafner voneinander ab. Und noch die Rheintöchter von Narine Yeghiyan, Milda Tubelyte und Isabel Stüber Malagamba harmonieren mit kräftigem Klang.
Man darf gespannt sein, ob in Jeß’ Walküren-Schauspiel Brünnhilde nun die Liebe erfahren und schenken wird, die sie bei Wotan vermisst. Und im „Siegfried“ kommt ja auch noch die Enkelgeneration ins Spiel, tanzend for Future. Der Auftakt macht neugierig!