Für die Verklemmungen der Kern-Story ist der andere Blick eher problematisch, denn nun wird auf überprüfbare Zeitgeist-Charaktere verwiesen, die jedoch allenfalls Roman-Phantome sind. Das renovierungsbedürftige Hotel im coolen Bauhaus-Design (Bühnenbildner Harald B. Thor lässt auch das Publikum in den Spiegel schauen, aber aus der Ferne tröstend den Prater grüßen) ist in Salon und Foyer doppeltes Aufmarschgelände für die gehobene Panoptikums-Poesie des Originals, die der Regisseur mit Vermenschlichungs-Kommandos bekämpft. Hier darf man auch unsympathisch sein. Am Ende, wenn jeder und jede wirklich jedem verziehen hat und gnadenlos herumgeheiratet wird, spielt das zentrale Liebespaar zum Happy-End auflockernd Haschmich auf der Hinterbühne.
Ekaterina Godovanets führt die Arabella als affektierte Diva mit späten Herzlichkeits-Schüben ein, singt die Titelpartie technisch perfekt, aber kaum anrührend. Der rustikale Kavalier Mandryka ist für den eher lyrischen Jochen Kupfer respektabel bewältigte Schwerarbeit und bleibt in dieser seltsamen Mischung aus ungehobelter Naivität und herzhafter Hingabe ein Fragment. Alle Sympathie gehört der verblüffend vielseitigen Michaela Maria Mayer in der Zdenka-Hosenrolle (sie sang vor einem Jahr hier das „Meistersinger“-Evchen), auch wenn sie die Spitzen der Koloratur-Artistik weniger per Text als in Tonschleifen bewältigt. Graf Waldner (Randall Jakobsh) und Adelaide (Roswitha Christina Müller) spreizen sich so wienerisch wie möglich in Operetten-Karikaturen.
GMD Marcus Bosch hat das Werk, in dem die wiederbelebte kompositorische „Rosenkavalier“-Wucht auf einen schmalen Lore-Roman niederprasselt wie eine Bedrohung aus anderen Welten, schon in seiner Aachener Zeit dirigiert und ist offensichtlich fasziniert vom üppigen Strauss-Orchesterklang. Manchmal sogar geblendet, denn anders als kürzlich bei Wagners „Rheingold“ lässt er hier beim Tüfteln und Befeuern der oft jenseits des Anlasses rauschhaft angelegten Töne öfter mal die Stimmen hinter der akustischen Pracht-Fassade verschwinden. Die deutschen Übertitel über dem deutschen Gesang bekommen jedenfalls ihren Sinn. Dass er vom Pult aus vehement gegen den süßlichen Beigeschmack der Strauss-Konditorei kämpft und in magischen Momenten den lyrischen Zauber vom platten Boden der Theater-Realität abheben lässt, darf man ihm hoch anrechnen. Ansonsten treffen sich Regisseur und Dirigent im Bemühen, die Kitsch-Kolportage mit Unterkühlung genießbar zu halten.
Das freundliche Premierenpublikum nahm das übergroße Gefühl mit mittelgroßem Beifall auf, bejubelte die Protagonisten und schloss dabei auch den zögernd zur Verbeugung antretenden Regisseur ein.