Deutlicher war Nemirovas Regie-Handschrift. Schon die oft dröge einleitende Nornen-Szene bestach dramaturgisch: die drei schamanenhaft kostümierten, weisen Frauen Mahnke-Arwady-Blue spannten ein rotes Schicksalsseil zwischen den stumm auf Jens Kilians nie einengender Weltenscheibe versammelten übrigen Figuren – deren bald sichtbar ausweglose „Verstrickung“ dann Alberich durchtrennte und sie ihrem Ende entgegentaumeln ließ. Siegfried trieb zur ironisierten „Rheinfahrt“ in einem Schlauchboot auf den nun wellenförmig kreisen Scheiben-Ringen. Brünnhilde brach bei Waltrautes Bericht vom trauernden Vater Wotan zur melancholisch-sehnsüchtigen Musik anrührend in Tränen aus. Alberich hüllte den zum Weltenerbe getriebenen Sohn Hagen in sein Gold-Jackett – und Hagen legte es der zu Siegfrieds Tötung instrumentalisierten Brünnhilde um. Dabei kontrastierte die Scheibenschräge das Hochzeitspaar Siegfried-Gutrune an der Oberkante mit dem Rache-Trio Brünnhilde-Gunter-Hagen in der finsteren Schräge darunter. In dieser Stimmung zeichnete Brünnhilde mit Lippenstift ein Zielkreuz auf Siegfrieds Hemd – und dieses Hemd wurde zunächst auf Hagens Speer als „Kampfsignal“ aufgezogen.
Viele weitere dramaturgisch überzeugende Szenenakzente ließen sich aufzählen. Alles gipfelte jedoch in der hochexpressiven Schlussszene: Nachdem Brünnhilde den Ring von Siegfrieds Hand an sich genommen hatte, trat sie aus der Bühnen-Weltenscheibe ganz nach vorne an die Rampe. In nun unforciert schönem, auch besser denn je verständlichem Gesang zog sie die bittere Lehre – und schleuderte mit einem fulminant grellen, erschreckenden, Olaf Winters gesamte Scheinwerferbatterie fordernden Lichtblitz den Ring „in Walhalls prangende Burg“: auf uns kapitalismusverstrickte „Walhallianer“ im nun hellen Zuschauerraum. Dazu traten alle „Ring“-Figuren nochmals auf die Weltenscheibe, was der gescheiterte Alberich in der rechten Proszeniumsloge, die gescheiterten Götter in der linken beobachteten. Zum utopisch hoffnungsvoll aufleuchtenden Erlösungs- oder Liebesmotiv – erinnert sei an die Arbeiterschaft in Chéréaus Bayreuther „Jahrhundert-Ring“ von 1976 – traten bei Nemirova nun alle Bühnenfiguren der Tetralogie an den Scheibenrand mit der unüberhörbar sichtbaren Frage an uns: Und was macht ihr aus eurer Welt? – Wagners „Ring“-Parabel war im Jahr 2012 angekommen.