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Benjamin Britten: A Midsummer Night’s Dream

Theater:Staatstheater Braunschweig, Premiere:29.01.2011Autor(in) der Vorlage:William ShakespeareRegie:Michael TalkeMusikalische Leitung:Christopher Hein

Die Welt ist am Schlingern. Wie auf einer emotionalen Rutschbahn zieht uns Benjamin Britten mit tiefen Glissandi auf Bässen und Celli hinab ins Unterbewusstsein, ins Land der unentdeckten Gefühle und freigesetzten Triebe. Was in Shakespeares Vorlage vom „Sommernachtstraum“ der Wald ist, der natürliche Freiraum für Lust und Liebe, ist in Michael Talkes grandioser Inszenierung der Brittenschen Opernversion am Staatstheater Braunschweig das Cabaret: Hier werden Träume möglich, wird manches ausprobiert, herrschen Verwirrung der Gefühle, Eifersucht und Künstlerneid.

Barbara Steiners Bühnenbild suggeriert, man probe hier noch für die Sommernachtstraum-Revue. Auf der hölzernen Shakespeare-Bühne arbeitet man mit Nebel, Strass, Glimmervorhang und Versenkungen. Wir erleben die ephebisch singenden Kinder in Abendanzügen, leicht geschürzte Fräuleins mit Feder-Kronen, die silbrig schimmernde Titania auf der hereinschwebenden Mondsichel, den alles beobachtenden Oberon als Regisseur und Star. Und Puck als heruntergekommenes Revuegirl in Korsett und Federschmuck: Schauspieler Raphael Traub spielt ihn frech, geil, obszön – rotziger Widerpart und Kehrseite zu all den Cabaret-Schönheiten.

Ein Ausgestoßener auch, den die uniformen Chorus-Girls mit den Mänteln schlagen. Er, der den ganzen Glamour durchschaut, reagiert zynisch und vulgär auf den ganzen schönen Zauber, den sich die Herrschaften in der feinen Oper zurechtspinnen, um ihre Triebe zu verkleiden. Titania etwa hat sich einen Bodybuilder geangelt, den sich dann aber Oberon mit blanker Brust und kräftigen Armen gefügig macht. Yosemeh Adjei lässt dazu seinen bezaubernden Countertenor strömen – eine weich und geschmeidig bis in hohe Lagen reichende Stimme, vibratolos, unforciert, rein. Und Titania entdeckt derweil die derbere Virilität des den Esel mimenden Bottom. Mit perlenden Koloraturen und sinnlich schönem Höhenklang verströmt Ekaterina Kudryavtseva in jeder Hinsicht ihre Reize.

Zwei Liebespaare müssen derweil noch üben. Wenn Lysander und Hermia sich ihre Liebe gestehen, nehmen sie die große breitarmige Opern-Verkündigungspose ein. Sarah Ferede bringt dafür ihren fülligen Mezzo in Stellung, Arthur Shen hält mit nicht immer intonationsklarem, aber immer wieder strahlkräftigem Tenor dagegen. Das andere Paar ist noch zerstritten: Orhan Yildiz legt als Demetrius einen wunderbar kräftigen, kernig satten Bariton vor, Simone Lichtenstein eine reizende Helena mit lyrisch klarer Höhe. Die von Puck falsch verbundenen und dann wieder restaurierten Paare bleiben im Übrigen dauerhaft lustanfällig und geraten in ekstatisches Kuddelmuddel mit einem zufällig kreuzenden Statistenpaar. Der exzellente Kinderchor hält denn auch Tafeln mit Happyend und Fragezeichen über die Hochzeiter. Das Satyrspiel besorgt die Bühnenarbeitertruppe im Blaumann, angeführt von Henryk Böhm als omnipotentem Bottom mit kraftvollem Bariton.

Christopher Hein, der kurzfristig für den verletzten Sebastian Beckedorf das Dirigat übernommen hatte, glänzte durch große Aufmerksamkeit für die Sänger und eine detailfreudige Verliebtheit in Brittens harmonische Verrückungen, rhythmische Pointen und Laut-Leise-Spiele, die das Staatsorchester lustvoll mitvollzog. Welcome au Cabaret.