Foto: Szene mit Florian Bänsch (Dennis, spielt Perkins), Dominique Bals (Chris, spielt Inspektor Carter) und Philipp Brammer (Robert, spielt Thomas Colleymoore) © H. Dietz Fotodesign
Text:Volker Tzschucke, am 13. November 2016
Bis zum letzten Augenblick wird am Bühnenbild gearbeitet. Dann scheint alles fertig: Der Regisseur tritt vor den Vorhang, begrüßt das Publikum, freut sich. Endlich einmal könne seine studentische Theatergruppe ein Stück in der Besetzung spielen, die der Autor sich gedacht hat – anders als bei Tschechows „Zwei Schwestern“ oder „Ali Baba und der Räuber“. Es soll der große Abend dieser Truppe werden: „Mord auf Schloss Haversham“. Doch von nun an wird alles schiefgehen. Es soll schiefgehen.
„The play that goes wrong“ lautet der englische Originaltitel des Stücks von Henry Lewis, Jonathan Sayer und Henry Shields, das in Hof seine deutschsprachige Erstaufführung erlebte. In London 2014 auf die Bühne gebracht, wurde es mit dem Laurence-Olivier-Preis als Beste Komödie ausgezeichnet und läuft dort seitdem ununterbrochen.
Auf der ersten Ebene ist „Mord auf Schloss Haversham“ der Titel einer Kriminalgeschichte mit typisch englischem Repertoire: Abgelegenes Landhaus, eine mit Sherry vergiftete Leiche, Bibliothek und Arbeitszimmer, Dandy und hinreißende Schöne, Inspektor und Gärtner. Dieses Stück wird – Ebene 2 – von einer Laienspielgruppe auf die Bühne gebracht. Chris, der Leiter der Gruppe, hat nicht nur das Stück geschrieben, sondern auch produziert, gecastet, Regie geführt und sich die Rolle des Inspektors vorbehalten. Gefunden hat er Mitspieler, die eher von Enthusiasmus als von Können getrieben sind, ihre kleinen und größeren Eitelkeiten auf die Bühne tragen und ansonsten versuchen, die eigenen wie die Fehler der anderen so weit wie möglich zu überspielen – vom falschen Auftritt über textliche Hänger und verschobene Dialoge bis zu fehlenden Bühnenhunden.
Mit einem Mitspieler freilich hat Chris nicht gerechnet: den Tücken der Technik. Die sind von Beginn an spielbestimmendes Element: Türen lassen sich nicht öffnen, Simse fehlen, Bilder fallen von den Wänden und Fenster aus ihren Rahmen, musikalische Einspieler passen nicht, Requisiten liegen nicht an der richtigen Stelle, ein Aufzug wird zur qualmenden Falle. Mit wenigen Worten: Selten fand Murphys Gesetz so sehr seine Erfüllung. Was schiefgehen kann, geht schief. Und so müssen – auf einer dritten Ebene – auch diese Tücken überwunden werden, die Laiendarsteller fallen immer wieder aus ihren Rollen.
Was sich liest wie eine zweieinhalbstündige Pannen-Parade, ist genau darauf angelegt. Deshalb will, nein muss man zuallererst den Bühnenbauern gratulieren: Was das Team um Annette Mahlendorf hier erarbeitet hat, genügt höchsten Ansprüchen an professionell dargestelltes Dilettantentum. Es sei eines ihrer schwierigsten Bühnenbilder gewesen, verrät Mahlendorf im Programmheft, und man glaubt es ihr ohne Umstände.
Angesichts des großflächigen Slapsticks verlangt das Stück eine präzise Inszenierung, für die Ralf Hocke sorgt: Das Timing stimmt, die Zuschauerblicke werden konsequent zur nächsten sich anbahnenden Katastrophe gelenkt. Das Schwierige, es sieht am Ende einfach aus – auch dank der versammelten Schauspielerschar: Florian Bänsch als Dennis alias Butler Perkins, der sich bis zum Spagat auch körperlich verausgabt. Dominique Bals als Chris alias Theatergruppenleiter alias Inspektor Carter, der selbst auf der Bühne noch Regie führt. Die anmutige Susanna Mucha als Sandra alias Florence Colleymoore, um deren Liebesleben sich alles zu drehen scheint. Die trampelig auftretende Anja Stange als Inspizientin Annie, die entschlossen ihre Chance aufs Rampenlicht wahrnimmt. Es ist eine geschlossene Ensembleleistung, aus der niemand herausfällt.
Und doch kranken Stück und Inszenierung ein wenig. Sie sind so sehr auf den Slapstick konzentriert, so sehr damit beschäftigt, ein komödiantisches Feuerwerk nach dem nächsten zu entzünden, dass es den Typen und Typinnen auf der Bühne an jeglicher Tiefe fehlt. Unweigerlich kommt der Moment, an dem man genug davon hat, dass wieder jemand von einer Tür in Ohnmacht geschlagen, von einem herunterfallenden Schild getroffen, von einer klemmenden Tür aufgehalten wird. Man wünscht sich – quasi als retardierendes Moment – einfach mal fünf Minuten, in denen nichts schiefgeht. Der Wunsch soll unerfüllt bleiben. Wo sind die Zettel und Stifte fürs Pannen-Bingo? Das Stück liegt humortechnisch damit deutlich näher an „Dinner for one“ als etwa an Frayns „Der nackte Wahnsinn“.
Seinen Erfolg als publikumsträchtige boulevardeske Ergänzung zum anspruchsvollen Stadttheaterprogramm, so weit kann man sich ganz sicher aus dem Fenster lehnen, wird das nicht aufhalten. Schließlich findet auch Miss Sophie Generation für Generation neue Freunde. In Hof jedenfalls ist man sich des Sieges gewiss: Schon zur Premiere gab es vor den regulären vordersten Zuschauerplätzen zwei extra aufgebaute Stuhlreihen – und sie waren voll besetzt.