Szene aus "Nixon in China"

Wiedergänger der Zeitgeschichte

John Adams: Nixon in China

Theater:Oper Dortmund, Premiere:26.02.2023Regie:Martin G. BergerMusikalische Leitung:Olivia Lee-Gundermann

Der Opern-Dreiakter „Nixon in China“ von John Adams ist der seltene Fall einer Vertonung von relativ junger Geschichte. Librettistin Alice Godman hat weder gut abgehangene, noch sich gerade ins Publikumsbewusstsein kämpfende Literatur vertont. Was 1987 unter dem Titel „Nixon in China“ in Houston uraufgeführt und dann auch in Europa immer wieder nachgespielt wurde, greift ein weltweit beachtetes Ereignis des Jahres 1972 auf, an das sich das Publikum damals noch selbst erinnern konnte und dessen Haupt-Akteure noch lebten.

Der „große Vorsitzende“ Mao war zwar schon 1976 gestorben, aber sein trickreicher Besucher Richard Nixon hatte noch bis 1994 alle möglichen Gelegenheiten, um sein durch die Watergate-Affäre ramponiertes Bild für die Nachwelt wieder aufzupolieren. Seine Frau Pat war erst ein Jahr vor ihm gestorben. Auch die berüchtigte Mao-Witwe Chiang Ch’ing hätte in ihrem Kerker, in dem sie als Haupt der Viererbande den Rest ihres Lebens (bis 1991) verbrachte, von ihrem Opern-Alter Ego etwas erfahren können. Der inzwischen fast 100-jährige Henry Kissinger schafft es sogar heute noch, mit strategischen Ratschlägen die politischen Akteure zu beeindrucken beziehungsweise in Rage zu versetzen.

Der titelgebende Mittelpunkt ist jener Staatsbesuch von Richard Nixon (samt Gattin und ewigem Strategen Kissinger), mit dem der US-Präsident die seit dem Koreakrieg praktizierte Staatsdoktrin der Nichtanerkennung der Volksrepublik China beendete. Zunächst vor allem mit großem medialen Effekt, denn diplomatische Beziehungen wurden erst 1979 aufgenommen. Dass 50 Jahre nach der historischen Stippvisite in die pragmatische politische Realität eine globale tektonische Macht-Verschiebung dazu führte, dass China zum langfristigen Hauptkonkurrenten der westlichen Supermacht aufsteigen würde, war damals nur eine vage Möglichkeit. Was jede Inszenierung vor das Problem der Fortschreibung einer Kontextualisierung des Ereignisses der Zeitgeschichte als Opernstoff stellt. Und die vermeintliche Aktualität mittlerweile doch mit einer gewissen Patina überzieht.

Tanzen im Altersheim

Unter dem Personal, das bei Regisseur Martin G. Berger in seiner Inszenierung am Theater Dortmund auftritt, wirkt Maos Mitstreiter Chou En-lai noch am ehesten wie ein Erwachsener in einem Theater der Eitelkeiten, das bewusst immer wieder zur Revue der Selbstdarstellung aufgeblasen wird. Besonders da ziehen Sarah-Katharina Karl mit der Bühne, zu der die Videos von Vincent Stefan Erhebliches beitragen, und Alexander Djurkov Hotter mit seinen Kostümen, die auf modischen und personellen Wiedererkennungseffekt setzen, alle Register.

Die typisch amerikanische, sogenannte Minimal Music ist (jedenfalls in Dortmund) die Steilvorlage für einen maximalen Aufwand. Was da am Ende beim Schlussapplaus an Personal versammelt ist, braucht schon eine so große Bühne wie die in Dortmund, um allen Platz zu bieten.

Neben den Protagonisten und dem mit einem Projekt-Extrachor aufgerüsteten Opernchor des Hauses (Fabio Mancini hat dessen Einstudierung besorgt) kommt in dem Falle noch ein von Mark Hoskins einstudiertes „Senior*innentanztheater“ hinzu – die Damen und Herren machen ihre Sache wirklich gut und mischen den eher glatten Showeinlagen von nachempfunden roter Pekingoper und flacher US-Revue eine Prise von witzigem, sozusagen handgemachtem Als-ob-Theater bei. Es macht Spaß zu sehen, wie da die altgewordenen Heroen der Zeitgeschichte sich lange nach ihrer großen Zeit im Altersheim versammeln. So gekachelt wie die Wände anmuten und so energisch, wie die Pfleger hier auftreten, könnte es auch eins von den besonderen Sanatorien sein, die man nicht so ohne weiteres wieder verlassen könnte.

Konflikt der ideologischen Träume

Die Akteure des Staatsbesuches von einst und, jene als „Ich“, benannte, dazu erfundene Alltagsfrau (Jemima Rose Dean) begegnen da Marx und dem Papst oder Fidel Castro und Che Guevara ebenso wie dem Ehepaar Peron (Evita in großer Musicalpose versteht sich), Maggi Thatcher, der Queen, dem Ehepaar Honecker und noch einer Reihe anderer Promis von einst. Dabei gehört es zur Eigenart dieser Geschichte, dass die an sich wenig ergiebige Nacherzählung eines Staatsbesuches mit einer Ebene der Erinnerung der Hauptakteure auf beiden Seiten an ihre Jugend, sozusagen in die Vergangenheit, vertieft wird. Wirklich interessant wird es, wenn Pat Nixon den Chinesen etwas vom American Way of Life erzählt, bei imaginierten Blick der Miss Liberty nach innen ins eigene Land, dann aber ein wiederauferstandener, sprichwörtlich Unbekannter Soldat die zuckersüße Idylle zertritt oder das reaktionäre Frauenbild eines patriarchalischen Wohlstandskapitalismus aufblitzt.

Musikalisch hat man das Gefühl, dass Adams hier an den Drive der Westside Story erinnern wollte. Inhaltlich ist das noch der inhaltlich beeindruckendste Teil des Abends. Ansonsten setzt er mit seiner szenischen Nummernfolge dem kreisenden, sich wiederholenden und überlagernden Sound der pulsenden Musik nicht wirklich Stringenz entgegen. Musikalische Präzision und Balance mit dem Ensemble gelingt der Dirigentin Olivia Lee-Gundermann im zweiten Teil noch besser als im ersten. Da wirkt auch Adams etwas unternehmungslustiger – etwa mit einer Sturmmusik, die alle von der Bühne fegt. Dennoch bleibt die Verweigerung einer musikalischen und auch szenischen Vorwärtsstrategie, gerade wenn der Text ins banal Poetische gleitet, eine Herausforderung für den Aufmerksamkeitspegel des Publikums.

Die Solisten singen und spielen durchweg auf einem beeindruckenden Intensitätsniveau. Das gilt besonders für Petr Sokolov und Irina Simmes als Richard und Pat Nixon sowie Morgan Moody als deren Begleiter Henry Kissinger. Aber auch für die Chinesen: Alfred Kim als Mao und Daegyun Jeong als Chou En-lai sowie Hye Jung Lee als dessen Frau spielen dabei sogar virtuos mit der Wiedererkennbarkeit ihrer historischen Vorbilder. Auch alle weiteren Solisten und die Choreografie der Massenszenen (durch Gabriele Bruschi) rechtfertigen am Ende den einhelligen Beifall für eine beachtliche Kunstanstrengung der Oper Dortmund!