Das Setting wird in die Neuzeit verlegt. Scheidungskind und Halbwaise Eriopis soll das elterliche Schlittenhund-Unternehmen leiten. Zum Vater entwickelt sie keine richtige Bindung, muss mit Zuschreibungen von außen, von einem am Elend interessierten Publikum kämpfen. Darum hat sich Regisseurin Anna-Sophie Mahler darauf verlegt, in der Uraufführung ganz aus der Innenperspektive der jungen Frau zu erzählen. Dafür setzt sie vor allem auch auf Musik. Stück für Stück setzen eine Schauspielerin, eine Sängerin und ein Musiker Eriopis‘ Seelenleben zusammen. Wie tickt Medeas Tochter?
Eriopis tritt zweimal auf, richtig anwesend ist sie dennoch nie. Sie erscheint in Worten und Körpern von Schauspielerin Julia Berke und Sängerin Yuka Yanagihara, wird von ihnen quasi hervorgerufen. Erinnerungen und Träume der Jugendlichen rufen sie hervor, meist in knappen Schilderungen oder rätselhaften Gesangssequenzen aus Richard Strauss‘ „Salome“. Spielszenen jenseits symbolischer Akte wie Eincremen oder Brotverzehr finden nicht statt. Musikalisch untermalend unterstützt sie Michael Wilhelmi am Flügel – der manchmal als Vaterfigur aufscheint.
Das alles bleibt sehr assoziativ, lose wie ein sich drehendes Kaleidoskop, in dem das Licht immer wieder auf andere Glitzersteinchen fällt. Diese Wirkung unterstreichen auch die Handykameraprojektionen, die fast durchgängig den sonst weißen Bühnenraum füllen. Dabei entstehen starke Bilder mit Sogeffekt. Etwa wenn Yanagihara mit scheinbar abgeschnittener Zunge in der dreifachen Totalen erscheint und vom Geschmack blutiger Lippen singt.
Dass Eriopis nie wirklich selbst spricht, sondern von außen befragt und alles über sie erzählt wird, macht zusammen mit den Projektionen eine Medienkritik überdeutlich. Wenn der Vater meint, auch aus dieser Krise gestärkt hervorgegangen zu sein, dann ist das beißender Spott auf eine Gesellschaft, in der Scheitern, ja, die größte Tragödie noch als Chance begriffen werden muss.
Die ganze Inszenierung ist hoch symbolisch aufgeladen. Das beginnt mit der Bühnenfarbe, die nicht nur ein hübscher Kontrast zum roten Blut ist, sondern den Schnee der lebensfeindlichen Nordlandschaft meinen kann, aber auch die Motive Reinheit und Unschuld berührt. Das Blut steht neben dem Offensichtlichen – dem Mord Medeas an ihren Zwillingen –, ebenso für Menstruation, Frauwerdung, aber auch für die Zuschneidung des jungen Körpers an gesellschaftliche Normen. Die Überlagerungen der Bedeutungsschichten, dass sie sich nicht klar trennen lassen, ist gewollt. Man erfährt in „Eriopis“ nichts über Medea. Sie wird als historischer Ballast lediglich deshalb touchiert, weil Autorin E. L. Karhu verdeutlichen will, dass ihre Fragen keine neuen sind. Sie werden im Mythos und seinen theatralen Interpretationen nur zumeist unterschlagen, zugunsten des Helden Jason und des Schauders an der mordenden Frau. Stattdessen geht es hier um Einfühlung, was Anna-Sophie Mahler in eine lose, aber emotional angehende Bildersammlung übersetzt.