Szene aus "Misery"

Wer hat die Macht?

William Goldman: Misery

Theater:Nordharzer Städtebundtheater, Premiere:14.10.2022Vorlage:nach dem gleichnamigen RomanAutor(in) der Vorlage:Stephen KingRegie:Rosmarie Vogtenhuber

Auf dem Gaze-Vorhang flackern Bilder in Schwarz-Weiß: ein Schwein, auf halben Wege zwischen stattlich und monströs. Es frisst mehr als jedes Wildschwein je fressen würde, denn sein Zweck ist es, Fleisch anzusetzen. Das Schwein heißt Misery und die Geschichte, die Stephan King schrieb (ein Bestseller) und Rob Reiner verfilmte (für den die Hauptdarstellerin Kathy Bates einen Oscar) ebenso.

Es ist eine Geschichte vom Elend im höheren Sinne, aber auch ganz praktisch ein Zweikampf auf Leben und Tod. Das Das Nordharzer Städtebundtheater erzählt einen philosophischer Thriller, dem die Videos von Stefan Ulrich eine unerwartete Dimension geben.

Die Geschichte vom Schriftsteller Paul Sheldon, der aus einer Schreibklausur kommend mit seinem Wagen im Schneesturm verunglückt und von der früheren Krankenschwester Annie Wilkes gerettet und in ihr Haus gebracht wird, ist alles andere als unbekannt – samt ihrem Ende: dem Showdown zwischen dem Autor und seinem „größten Fan“ (Fan gleich Fluch?).

Vermag diese ausrechenbare Konstellation immer noch eine Intensität des Spiels im Hier und Jetzt zu erzeugen? Ja, in der Regie von Rosmarie Vogtenhuber gelingt ein Psychodrama, in dem Julia Siebenschuh als Annie beeindruckt. Ebenso hochenergetisch wie präzise spielt sie die Umschwünge von Bewunderung in Verachtung, von Fürsorge in Folter. Der Autor Sheldon – wehrhaft bis zum Paktieren mit dem Publikum: Stefan Werner Dick – wird zur Geisel ihrer verkitschten Sehnsüchte.

Annie ist ein Synonym für die Macht des Publikums: Misery, die Hauptheldin in den acht sentimentalen Romanen Sheldons, darf nicht sterben! Eher schon ist Annie bereit, den widerspenstigen Autor zu opfern. Die Faszination der fixen Idee macht den Psychopathen!