Szene aus "Dog Days"

Wenn der Mensch vor die Hunde geht

David T. Little: Dog Days

Theater:Staatstheater Braunschweig, Vorlage:Nach der gleichnamigen KurzgeschichteAutor(in) der Vorlage:Judy BudnitzRegie:Balázs KovalikMusikalische Leitung:Alexis Agrafiotis

Diese Bühneninstallation ist schon mal ’ne Wucht: Stephan Mannteuffel hat einen ganzen Wohnturm schräg in den Orchestergraben des Braunschweiger Staatstheaters gestemmt. Ein zu allen Seiten einsehbares Schachtelhaus, in dem sich der amerikanische Albtraum einer Konsumgesellschaft im letzten Gefecht abspielt: Es herrscht Krieg in „Dog Days“, der 2012 uraufgeführten Oper des Amerikaners David T. Little. Ein undefinierbarer Krieg, den die Regierung womöglich längst gegen die eigenen Staatsbürger führt. In den (seltenen) Versorgungspaketen, die per Hubschrauber abgeworfen werden, befinden sich eben manchmal bloß Windeln.

In diesem Wohnturm nun, in dem natürlich auch der Straßenkreuzer zur Familie gehört, versucht Howard die Reste seiner Manneswürde, wie er sie versteht, zu wahren: Arbeitslos geworden in diesem Distrikt, aus dem fast alle Nachbarn schon geflohen sind, geht er mit der Flinte auf Eichhörnchenjagd, um die Familie zu ernähren. Am Tisch wird gebetet, er setzt äußerlich die alten Hierarchen durch, dabei marodieren die Söhne längst drogensüchtig durch die leerstehenden Häuser, wird die Frau, die aus den letzten Konserven und Löwenzahn etwas Essbares zaubert, emotional zerrieben.

Spätestens als die Offizierin irgendeines Säuberungskommandos, das in Schutzkleidung die Bühne ausräuchert, die Jungs rekrutieren will für den Neuanfang, die neue gemeinsame Sache, bestärkt sich der Verdacht, dass es längst um ganz andere Machtkonstellationen geht.

Längst hat das elektronische Summen, das der Komponist seiner dauerverstärkten Klanglandschaft aus solistischen Streichinstrumenten, Klarinette, Perkussion, E-Gitarre und Klavier eingeschrieben hat, beunruhigendes Ausmaß angenommen. Milda Tubelyte als Captain verkörpert mit auch erotischer Dominanz die siegessichere Staatsmacht, gibt mit sattem runden Mezzo die neuen Perspektiven vor. Aber Howard wird noch einmal stark in der Pose des Hausherrn. Er verweigert den Zugriff und singt nach ihrem Abgang all seinen aufgeladenen Frust heraus. Michael Mrosek (in Braunschweig auch ein bravouröser Alberich) lässt seinen powervollen Bassbariton dazu mächtig ausströmen.

Unheimliches Summen

Das ist heavy, ob es schon Heavy Metal ist, bleibt allerdings fraglich. Little, der eigene Erfahrungen im Musical wie in einer Heavy-Metal-Band aufweist, scheint in seiner eher im Minimal-Music-Drive liegenden Musik auf die schrille Klanggeste eher zu verzichten, das ist eigentlich schade, da dürfte er mutiger sein. Hier wird nicht geshoutet, sondern durchaus opernhaft gesungen, die Beunruhigung liegt eher im elektrischen Soundtrack, in dem irritierenden Summen, dem feinen Zusammenspiel der Metallophone, der oft leisen Begleitung arioser Passagen durch warmen Klarinettenton oder Cello, die Alexis Agrafiotis im kleinen Restgraben sorgsam zusammenhält.

Tatsächlich muss in dieser Geschichte vielleicht auch mehr als die dramatische Rebellion, die hohl gewordene, aber nochmal ausgefochtene Männerpose irritieren, dass Howard nachts im Bett weint, wie die Tochter belauscht hat. Little ist den wahren Emotionen der Figuren zugewandt, und dafür gibt ihm die zugrundeliegende Novelle von Judy Budnitz einen Katalysator an die Hand: den Hundemann. Einen Menschen, der in diesen Dog Days der amerikanischen Gesellschaft seinen menschlichen Habitus abgelegt hat und sich als Hund durchschlägt.

Das Tier im Menschen

Regisseur Balázs Kovalik untersucht in Braunschweig sehr genau, was er in den einzelnen Familienmitgliedern auslöst. Für Howard ist er das verhasste Gegenbild. Längst selbst auf den Hund gekommen, will er nicht akzeptieren, dass einer auch das Letzte, seine Menschenhaltung aufgeben kann. Er schlägt und würgt ihn und gibt so seinerseits sein letztes Menschliches dahin, bis er sich selber hasst. Auch des Hundemanns offensive Erotik trifft auf verdrängte Begehren. Kovalik lässt Steffen Recks meist wie einen Menschen, lasziv in die Ecken gedrückt, agieren. Wenn er dann Howard wie ein Hund anspringt und leckt, wird noch dessen letztes Männlichkeitsbewusstsein getroffen.

Währenddessen badet die Mutter den Hundemann, bereitet sich den nackten jungen Mann als Ausgleich für 20 Jahre Familienfrust zu. Ivi Karnezi singt mit wiegendem fülligen Sopran zu sanfter Jazzbesenbegleitung vom Schlagwerk. Für das heranwachsende Mädchen Lisa ist der Hundemann ein Vertrauter und Spielgefährte, bis sie in einer Spiegelszene ihr Erwachsensein bemerkt und sich dem Mann im Hund entziehen muss. Veronika Schäfer darf sich mit ihrem leuchtend weichen Sopran immer wieder in schönen Kantilenen der Selbstaussprache wiegen.

Der Schluss geht unter die Haut: Howard muss den inzwischen nackten Hundemann, der all die Erotik, Weichheit und Menschenwürde verkörpert, die er als demontierter Familienvater nicht ertragen kann, aus dem Haus vertreiben. So erklärt er den bei Kovalik so deutlich als Mensch gezeigten Hundemann zum Tier und damit frei zum Abschuss für ein letztes Mahl der hungernden Familie.

Angeschossen robbt der Nackte zurück auf die Bühne, ein geschundener Bruder wie der Christus des Ecce Homo. Recks spielt das mit einer geschmeidigen Körperlichkeit und zarter Präsenz. Aber Lisa ergreift die nach ihr ausgestreckte Hand nicht, die letzte menschliche Geste bleibt aus. So senkt sich der Eiserne Vorhang zwischen sie, während die Streicher einen Wiegerhythmus spielen wie Glocken und das Ensemble immer weiter aufschwillt wie ein glühender Mahnruf der Menschlichkeit. Das ist hochemotionale Musik, und von Kovalik packend inszeniert.