Foto: Kate Lindsey (Nerone) und Renato Dolcini (Seneca) zwischen Musikern und vor drehfreudigem Bewegungsensemble © Maarten Vanden Abeele
Text:Jörn Florian Fuchs, am 13. August 2018
Bei seinem Operndebut anlääslich der Salzburger Festspiele versucht Jan Lauwers, Monteverdis Opernmeisterwerk mit Drehbewegungen beizukommen.
Die Blitzumfrage in der Pause ergibt ein eindeutiges Bild. Bei etlichen Premierenbesuchern herrscht Übelkeit. Was war passiert? Gab es obszöne Inszenierungsideen, provokante Perversionen? Eher nicht. Allerdings drehen sich an diesem Abend auf der Bühne unablässig Tänzer um sich selbst, mal als Ensemble, mal als einzelner ‚Derwisch‘. Das bringt den Gleichgewichtssinn mancher Zuschauer – den Kritiker eingeschlossen – ziemlich schnell aus dem Lot. Regisseur Jan Lauwers zeigt in seinem Operndebüt auch inhaltlich ein einziges Kreiseln, Taumeln, Trudeln. Veranstaltet wird ein gigantomanisches Bohei, das mal die Handlung verhoppelt, verdoppelt, mal völlig von ihr losgelöst ist.
Zu Beginn streiten die göttlichen Urkräfte Tugend, Glück und Liebe um Macht über die armen Menschen. Sie führen, durchaus liebevoll, drei Krüppel mit sich. Der Mensch als Mängelwesen, darauf muss man erstmal kommen! Ähnlich vielschichtig geht es weiter, laut Lauwers Aussagen im Programmheft sind ja alle Menschen in der „Poppea“ böse, warum, darüber müsse sich das Publikum den Kopf zerbrechen. Alle Protagonisten, so Lauwers weiter, würden in seiner Inszenierung ums Überleben kämpfen. Das sieht dann so aus: das Sängerensemble steht vorwiegend an der Rampe und singt in Richtung eines imaginären Dirigenten. Warum imaginär? Weil William Christie mit seinen exzellenten Musikern von Les Arts Florissants gleichsam im Bühnenbild sitzt und Cembalo spielt. Einsätze gibt es keine, die Koordination funktioniert trotzdem hervorragend. Es entsteht ein überwiegend milder, fein nuancierter Monteverdi-Sound, ein hübsch bereitetes, nicht zu plüschiges Klangbett für die Sänger. Die sind allesamt ausgezeichnet, vor allem Kate Lindsey als Nerone. Lindsey stattet ihre Rolle mit sehr komplexen Zwischentönen aus. Sonya Yoncheva bewältigt die Poppea-Partie fulminant und brennt ein espritgeladenes Vokalfeuerwerk ab. Eindringlich Stéphanie d’Oustrac als Ottavia, sprühend Dominique Visse als Arnalta. All dies hat wirklich Festspielniveau. Doch Lauwers‘ zunehmend eitle Regie wirkt sich leider stark auf die Musik aus. Den Mitgliedern seiner Needcompany und den diversen weiteren Tänzern hat Lauwers wohl das Motto „Tanzt, sonst seid ihr verloren!“ mit auf den fast vierstündigen Monteverdi-Weg gegeben. Weil das natürlich arg dünn ist, wird mit blutverschmierten Körpern hantiert, tauchen merkwürdige Tierwesen auf, baumelt ein grotesk verwachsener Kristalllüster dekorativ vom Bühnenhimmel herab. Dies erzählt wenig und stört meistens nur. Lauwers‘ Idee einer „dezentralen Strategie“ geht hinten und vorne nicht auf, alles kreist letztlich um eine tote Mitte. Das ins Wanken geratene Herrschaftsgefüge, die schwankenden Übergänge zwischen wirklichen Emotionen und hypererregter Machtgeilheit – nichts davon zu sehen. Passenderweise geschieht der Selbstmord des frustrierten Philosophen Seneca als simples, sich einfach mal von der Bühne Schleichen.
Am Ende singen Poppea und Nerone ihr berühmtes, vermutlich nicht von Monteverdi stammendes Schlussduett. Das Ensemble agiert dazu in Zeitlupe und performt einen verzweifelten, stummen Schrei. Dem wollen wir uns gänzlich anschließen.