Szene aus "L'occasione fa il ladro" in Bad Wildbad.

Welch hübsches Ding

Gioachino Rossini: L'occasione fa il ladro

Theater:Rossini in Wildbad, Kurtheater, Premiere:08.07.2017Regie:Jochen SchönleberMusikalische Leitung:Antonino Fogliani

Rossinis „L’occasione fa il ladro“ beim Festival Rossini in Wildbad.

Die Akteure spielen, singen und musizieren furios. Wie aus dem Nichts entwickelt sich alles: An den Rändern der schwarz ausgekleideten, offenen Bühne des liebevoll restaurierten, intimen Königlichen Kurtheaters im Schwarzwaldstädtchen Bad Wildbad stehen ein paar Stühle, ein Tischchen und ein rotsamten überzogenes Sitz-und Liegebänkchen. Als sich im Graben die Ouvertüre orchestral farbintensiv und munter entwickelt, öffnet sich mehrfach zu musikantischen Akzenten die Mitte der Bühnenrückwand wie ein von dämmrigen Farben erleuchtetes Fenster, in dem die angekündigten Protagonisten gleich projizierten Lichtbildern jeweils für einen Augenblick erscheinen. Später betreten diese quicklebendig höchstselbst die Bretter, die ihre Welt bedeuten. Gioachino Rossinis 1812 in Venedig uraufgeführte Einakter-Farce „L’occasione fa il ladro“ (Gelegenheit macht Diebe), eine „Burletta per musica“, nimmt als witzig-geistreicher musikalischer Spaß Fahrt auf.

Gleich in der ersten Szene entfaltet sich nach Luigi Prividalis Text ein frisch prickelndes, effektvoll heiteres Spiel. Der reisende Luftikus Don Parmenione (Lorenzo Regazzo) ist zusammen mit seinem Diener Martino (Roberto Maietta) im Gasthaus abgestiegen, wo sich der gefräßige Domestik sofort den Wanst voll schlägt, während ihm Blitz und Donner Angst einjagen. Hier her ist vor dem Gewitter auch der reiche Conte Alberto (Kenneth Tarver) geflüchtet, der seine (ihm bisher noch nicht persönlich bekannte) Braut, die Marchesa Berenice (Vera Talerko), besuchen will. In der Herberge vertauscht der Hochstapler Parmenione unter tatkräftiger Mithilfe seines diebischen Faktotums die Reisekoffer und wird sich selbst als Graf Alberto ausgeben. Im Hause der Marchesa tauchen also zwei Heiratskandidaten auf. Auch mischt deren Zofe Ernestina (Giada Frasconi) in einem verabredeten Rollentausch mit. Berenices Onkel Don Eusebio (Patrick Kabongo Mubenga) übernimmt eine Vermittlerrolle. Nach stürmischer Liebesprobe lösen sich die Verwicklungen in einem doppelten Happy-End – wäre da nicht die einem Regie-Einfall zu verdankende Bühnen-Flucht Parmeniones.

Wie in diesem überraschenden Aufführungsende hat Regisseur Jochen Schönleber in gewohnt stilsicherer Manier der Rossini-Musik und dem Libretto gleichsam vor- und nachgedacht. Viele Inszenierungs-Ideen, beispielsweise der Klamauk um Permeniones Perücken-Wechsel-Tick oder Amors kleiner Liebespfeil, in den sich Alberto tölpelhaft setzt und der von Berenice geschickt gehändelt wird, steigern das Amüsement, lösen im Publikum immer wieder Gelächter aus. Passend zu Schönlebers Bühnenbild hat Claudia Möbius die durchaus modern-modischen Kostüme in vornehmem Schwarzweiß gehalten – nur Berenice, die schon durch ihr knallig rotes Haar auffällt, ist in legerer Kostüm-Buntheit eine Ausnahme.  

Die Solisten machen den Spaß komplett. Mubenga gibt mit Brille einen liebenswürdig-lehrerhaften Besserwisser, der ansprechend zu singen versteht. Maietta verfügt über ein herausragend komödiantisches Spiel-Talent und ein ausbalanciertes baritonales Timbre. Regazzo ist ein imposant buffonesker, wuchtiger Baßbariton von ungewöhnlich nachhaltiger Bühnenpräsenz. Tenoraler Glanz mit intensiver Tongebung auch in sehr hohen Lagen zeichnet die Stimme des Alberto-Darstellers aus. Federleichte Beweglichkeit, die gut zu ihrem keck-vorlauten Rollenverständnis passt, ist ein Markenzeichen der Mezzosopranistin Frasconi. Sensationell agiert die Sopranistin Talerko. Ihr dynamisch ausgefeiltes Singen, das mal lyrisch sanft, mal lodernd-auftrumpfend sein kann, überzeugt in jeder Situation. Ihre Koloratur-Eskapaden tischen ein wahres Klangfest auf. Die in unterschiedlichsten Kombinationen temperamentvoll vorgetragenen Duette sind eine Wucht. Am schönsten ist Berenices und Albertos zärtliche Liebes-Duo, das schlussendlich wie ein Schattenspiel vor rosarotem Abendlichtschein stattfindet. Ganz zu schweigen von den strettahaft aufgedrehten Quintetten im Scheitelpunkt der Farce und im Finale.

Ein Wildbader Pluspunkt ist natürlich Dirigent und Rossini-Spezialist Antonino Fogliani, der das Festival-Orchester, die Virtuosi Brunenses aus Tschechien, mit seinem Wirbel-Temperament zum Leuchten und Brillieren bringt. So eröffnete das 29. Belcanto-Festival „Rossini in Wildbad“ mit einem köstlich „hübschen Ding“ – oder, wie Parmenione beim Betrachten von Berenices vermeintlichem Bildnis begeistert im italienischen Originaltext singt – mit einer „bella cosa“.