Foto: Der Chor des Pfalztheaters © Marco Piecuch
Text:Konstanze Führlbeck, am 24. April 2017
Holger Müller-Brandes inszeniert „Neda – Der Ruf“ von Nader Mashayekhi am Pfalztheater Kaiserslautern.
Diese Frage stellt ausgerechnet ein Werk des Musiktheaters, „Neda“ von Nader Mashayekhi. Das Werk des in Wien ausgebildeten iranischen Komponisten wurde 2010 in Osnabrück uraufgeführt; das Pfalztheater Kaiserslautern stellt die zweite Produktion vor.
Die Inszenierung von Holger Müller-Brandes zeigt den Protagonisten, den persischen Dichter Nizami (Wieland Satter), als Professor in einem durch ein flexibel deutbares Stahlgerüst evozierten modernen Hörsaal neben einem Hauptbahnhof, einem Ort der Begegnungen; vorne links steht ein Schreibtisch. Dadurch entsteht ein Rahmen, die Geschichten des mittelalterlichen Dichters Nizami (1141-1209) werden im Vortrag des Professors verbunden. Verbunden werden auch Rezitation und Musik, Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fiktion, verschiedene Musikkulturen – Mashayekhis Oper erzählt keine „Story“, sondern wirft in einem vielschichtigen Gesamtkunstwerk anhand von Episoden Schlaglichter auf das Verhältnis des Dichters zu Frauen und die Antwort der Gesellschaft in einer islamisch geprägten Kultur darauf.
Für eine gelungene Geschichte belohnte ein Fürst Nizami mit der Sklavin Apak (Monika Hügel), die ihn durch ihre Schönheit, aber auch durch ihr Selbstbewusstsein und ihren Intellekt beeindruckte. Da sie dadurch aber gegen religiöse Gesetze verstieß, verurteilten Männer sie zum Tod – und Nizami konnte es nicht verhindern. In seiner Verzweiflung erfand der Dichter Frauengestalten, die sich durch Eigenwillen und Freiheitsliebe auszeichnen – wie die mitfühlende Fitna (Arlette Meißner), die Amazone Nuschabe (Xiaoyi Xu) und Turandot (Adelheid Fink), die durch ihre unlösbaren Rätsel Männer zum Tod verurteilt – ein Kosmos weiblicher Charaktere, den er der dominanten Männerwelt, aber auch den anonymen Frauen entgegensetzt.
Der Fragmentcharakter der Oper mit ihren Zeitsprüngen, die das Leben des Dichters und der realen Apak mit seinen literarischen Figuren verwebt, wird durch die puristische Inszenierung von Müller-Brandes noch forciert: Nizami hat einen Doppelgänger (Mohammed Alshathily), der ihn immer wieder mit sich selbst konfrontiert in diesem zersplitterten Kaleidoskop aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, in dem nur die Musik in der ureigenen Klangwelt Mashayekhis Einheit stiftet.
Einer der Höhepunkte ist Apaks Ruf zum Gebet. Monika Hügel gestaltet sie in schwarzen Hosen und Rollkragenpullover mit klangschönem und volltönendem Sopran als emanzipierte Frau ohne Schleier, die damit ein den Männern vorbehaltenes Ritual ausübt, die Frauen fallen nur zögerlich; mit abgebrochen-zischenden Lauten ein. Wieland Satters Bariton schattiert den Dichter Nizami darstellerisch wie musikalisch unaufdringlich, aber in eindringlichen Nuancen aus; Tenor Daniel Kim als sein Freund sowie Arlette Meißner, Xiaoyi Xu und Adelheid Fink runden ein stimmiges Ensemble ab.
Dirigent Rodrigo Tomillo und dem Orchester des Pfalztheaters gelingt es, die durch orientalische Intervalle, Blechbläser und Schlagzeug geprägten Klänge in facettenreichen Farben mit der europäischen Avantgarde zu einem ausdrucksvollen Ganzen zu verschmelzen, das durch seine fremdartigen Klangwelten fasziniert und Kontraste bruchlos vereint. Dabei interagiert die Musik mit dem gesprochenen Text, sie geben sich wechselseitig Impulse. Denn beide sollen als Appell für Freiheit Menschen eine Stimme geben – entsprechend dem Titel der Oper: „Neda“, zu deutsch „Der Ruf“ oder „Die Stimme“.