Foto: III. Aufzug
Ensemble und Chor der Bayreuther Festspiele. © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Text:Martina Jacobi, am 26. Juli 2025
Mit Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ wurden die diesjährigen Bayreuther Festspiele eröffnet. Der gefeierte Musical-Regisseur Matthias Davids lässt das „Satyrspiel“ mit einem großartigen Ensemble für sich wirken.
Der Musikalische Leiter Daniele Gatti beginnt mit einer drängenden Ouvertüre von Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“. Damit gibt er dem Werk über das Wettsingen der Meistersingerzunft um das Eheversprechen mit der Goldschmiedstochter Eva mit dem Festspielorchester einen leicht-heiteren Ton vor.
Wie das Festspielhaus auf dem Hügel thront im ersten Bühnenbild die Nürnberger Katharinenkirche auf einem Hierarchie-Berg (Bühne: Andrew D. Edwards). Eine sich verjüngende Treppe führt nach oben, was die Kirche perspektivisch noch höher erscheinen lässt. Eva (Christina Nilsson) schleicht sich aus der Messe und wirft Papierflieger zu dem unten schmachtenden Walther von Stolzing (Michael Spyres).
Sachs tragende Rolle
Der Treff der Sängerzunft öffnet sich auf der Drehbühne zur linken Seite der Treppe. Es ist ein tribünenähnlicher Hof wie als Spiegelbild zum Zuschauerraum – ein Hof zur Erweisung der künstlerischen Ehrhaftigkeit. Hier soll Stolzing Meistersinger werden. Denn auch, wenn er sich Evas Liebe sicher sein kann, darf – so der Vater (mit mächtigem Bass gesungen von Jongmin Park) – nur ein Meistersinger ihrer Ehe würdig sein. Es beginnt der von Stadtschreiber Sixtus Beckmesser angestachelte Hahnenkampf: Als „Merker“, also Zunftsleiter, visioniert er Eva an seiner eigenen Seite.

I. Aufzug, Ensemble und Chor der Bayreuther Festspiele. Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
In dieser Szene tritt Hans Sachs erstmals auf, der als einziger nicht den Anstachlungen Beckmessers folgt, sondern die Ablehnung Stolzings als Meistersinger hinterfragt und dessen und Evas gegenseitige Zuneigung erkennt. Georg Zeppenfeld spielt Sachs großartig nicht nur als Pol der Ruhe und Weisheit, sondern im Zwiespalt der alten Ordnung und eigenen Empfindsamkeit – väterlich-konservativ singt er die anspruchsvolle Baritonpartie gefasst-ruhig aber auch emotional-drängend.
Subjektive Lebensvisionen
Im zweiten Akt öffnet sich der Vorhang zur bunten Fachwerk-Lebkuchenhaus-Fassade der Stadt. Dort macht sich Michael Nagy als Sixtus Beckmesser mit Herz-Gitarre und Sonnenbrille gekonnt-sympathisch zum Affen. Als schief intonierender Meistersinger vor Evas Balkon staunt er am meisten über sich selbst.
Und das ist es, was Zeppenfeld als Sachs eigentlich in der „Wahn!-Wahn!“-Arie in seiner Schusterwerkstatt im dritten Akt besingt: Die jeweils subjektiven Lebens-Visionen der Menschen. Diese lassen die Figuren in der Inszenierung karikaturesk erscheinen: Die große Eitelkeit des Stadtschreibers Sixtus Beckmesser, Michael Spyres‘ fast schon naiv-romantisch gespielter Stolzing – mit strahlend ausgesungenem Tenor –, und auch Sachs selbst, dem letztendlich die Meistersinger-Ordnung über allem steht.
Wagner-Bayreuth-Fest
Bühnenbild und Kostüme sind keinem bestimmten Zeitstil zuzuordnen: Die Inszenierung spannt einen Bogen von der streng-feinen Gesellschaft mit Puderperücken bis zum festlichen Arenafinale, in dem die Meistersinger wie eine Rockband auftreten und wild bejubelt werden – ein Volks-Wagner-Bayreuth-Fest vom Feinsten. Über allem schwebt eine Wagner-Persiflage: eine riesig aufgeblasene, bunte Ballon-Kuh, die „Wachkyrie“ (la vache qui rit) des französischen Illustrators Benjamin Rabier, ein Wortspiel von „Valkyrie“ für „Walküre“.

III. Aufzug, Michael Spyres (Walther von Stolzing), Georg Zeppenfeld (Hans Sachs), Christina Nilsson (Eva), Christa Mayer (Magdalene), Matthias Stier (David). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Ironisches Kostüm-Vorbild der Meistersinger – Rittermäntel und Zipfel-Helmhauben – ist der 1859 vom Prager Theaterdirektor gegründete Männerbund „Schlaraffia“. Auch dessen verbindendes Element waren künstlerische Darbietungen und „ausschließlich Männer in gesicherter Position“ lautete damals die Satzung.
Ganz zum Schluss: die emanzipatorische Geste
Mit alldem merkt man Matthias Davids als Musical-Regisseur, der vor allem im Finale mit groß-angelegten Chor-Choreografien (Simon Eichenberger), eingebauten Gags und Bühnenbild-Symbolik die Unterhaltung feiert. Herausragende Höhen der Inszenierung liegen in der musikalischen Leistung des Ensembles zum ausdifferenzierten Klang des Orchesters. Ein solcher Moment ist das Quintett im Dritten Akt von Stolzing, Sachs, Eva, Evas Amme Magdalene (Christa Mayer) und Sachs‘ Lehrbuben David. Christina Nilsson singt im Rollen-Debüt eine klar-ergreifende Eva, Matthias Stier einen stimmagilen und bühnenpräsenten Lehrbuben David.
Im wilden Finale-Bohei wird Eva als ganzkörpergewandetes Blumenbouquet und Preis-Objekt präsentiert, während sich die Meistersinger davor um die Ehrwürdigkeit der Freier streiten. Als Stolzing durch seinen hingebungsvollen Gesang reüssiert und Sachs ihn überzeugt, die Meistersinger-Ehre als Mitglied mitzutragen, ist es schließlich Eva, die – bis dahin still beobachtend – in einer überraschenden emanzipatorischen Eingebung ganz zum Schluss des Unterhaltungsabends ihm den Orden aus der Hand nimmt. Kommentarlos gibt sie ihn Sachs zurück und lässt mit Stolzing an der Hand die Meistersinger gelackmeiert zurück.