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Wandeln auf alten Pfaden

Anne Teresa De Keersmaeker: Verklärte Nacht

Theater:Ruhrtriennale, Premiere:16.08.2014 (UA)Komponist(in):Arnold Schönberg

Auf den ersten Blick ist hier nichts romantisch: Der Lichteinfall in die Halle 3 der Bochumer Jahrhunderthalle ist grau und sachlich, vor dem Publikum liegt schmucklos der schwarze Tanzboden, der die ganze Bühne ist. Der Charme des roten Backsteins der alten Industrie-Halle wärmt nicht mehr. Es ist eine Rückschau als Reduktion. Knapp zwanzig Jahre nach der Uraufführung betritt Anne Teresa De Keersmaeker noch einmal altbewährte Pfade, indem sie ihre Choreographie „Verklärte Nacht“ von 1995 zur Ruhrtriennale 2014 neu auflegt: „Verklärte Nacht – revisited“. Das Pas de Deux beruht auf dem halbstündigen Arnold Schönberg-Sextett „Verklärte Nacht“ (zugrunde liegt die spätere Überarbeitung Schönbergs der ursprünglichen Kammermusik in eine üppige Version für Streichorchester) – das wiederum auf dem gleichnamigen, fünfstrophigen Gedicht von Richard Dehmel (1896) fußt. Hier beschreiten ihrerseits zwei Liebende des Nachts einen Waldweg. Die übrige Handlung ist im Grunde ein knapper Dialog: SIE gesteht ihm, von einem anderen Mann schwanger zu sein – ER verzeiht ihr, und ihr Weg geht gemeinsam weiter.

Während De Keersmaeker das Stück 1995 noch opulenter gestaltet hatte, mit sechs Paaren und zwei Solisten, mit herbstlicher Bühne und ebensolchem Licht, schaufelt sie nun den Kern der Handlung frei, nimmt nur zwei bzw. kurzzeitig drei Tänzer zur Hand und übersiedelt das Verklärte durch das fahle Licht und die Schlichtheit des Rahmens in etwas beinahe virtuell Abseitiges. Im Kontrast der kalten Atmosphäre, in der sich eine romantische Liebesgeschichte zeigt, besteht das vordergründig Neue dieser Rekonstruktion.

Wärme entsteht mehr und mehr durch die Bewegungen. Noch vor dem Einsetzen der Musik betritt SIE die Bühne kurzzeitig mit einem anderen Mann (Nordine Benchorf), es wird der Inhalt ihres Geständnisses sein, den die Choreographie hier kurz andeutet. Erst anschließend betritt das eigentliche Paar die Bühne, zunächst in Stille. Noch liegt schwer und unsichtbar das Unausgesprochene zwischen beiden in der Luft, und so steht ER (Boštjan Antoncic) zunächst still und rückwärtsgewandt zu ihr, als höre er ihrem getanzten Geständnis zu, das sie halb verzweifelt, halb sehnsüchtig abgibt, in teils sehr eindeutigen, teils sensibel-emotionalen Gesten und Bewegungen, die durch die (eingespielte) Musik begleitet werden.

Die Reaktion ist die Erlösung, ein großherziges Verzeihen, das nun die zweite Hälfte des rund 40-minütigen Abends bestimmt: Ein gemeinsamer Tanz, voller Erleichterung und Zartheit, voller wirbelnder Kraft. Viele Details aus dem Bewegungsrepertoire stammen offenbar aus der Ursprungsversion des Stückes – die markanten, abrupten Wechsel des Fallens und Wiederaufrichtens, die Wiederholungen, in denen SIE mehrfach auf seinen Arm und wieder herunter springt, die Drehungen und der immer nach hinten überstreckte Kopf der Tänzerin (detailgenau und darstellerisch stark: Samantha van Wissen). Durch die Reduktion auf (überwiegend) zwei Tänzer tritt der erzählende Charakter der Choreographie eindrücklicher und stärker hervor als in der früheren Fassung.

Anne Teresa De Keersmaeker sieht „Verklärte Nacht“, wie sie im Programmheft erklärt, als Teil einer Recherche zwischen formalem und narrativem Tanz. Sie habe überlegt, dem Stück den Untertitel „Pina Bausch gewidmet“ zu geben. Was De Keermaeker hier zeigt, kann man in der Form durchaus eine wunderbare Hommage an Pina Bausch nennen. Im Wesentlichen aber konzentriert sie die Ergebnisse ihrer eigenen tänzerisch-poetischen Studie und entfacht, durch die eindrücklichen Kontraste zwischen Bühne und Handlung und durch ein weitergehendes, sinnlich-expressives Tanzvokabular, ergreifende neue Effekte.