Foto: Mamela Nyamza in ihrer Tanzperformance "Black Privilege" © Ursula Kaufmann / Ruhrtriennale 2018
Text:Melanie Suchy, am 23. August 2018
Faszinierende und sehr streitbare Ein-Personen-Tanzperformance von der südafrikanischen Choreographin und Tänzerin Mamela Nyamza.
Die Anordnung stimmt schon nicht: ein kleines schachbrettgemustertes Quadratareal auf der riesigen Bühne von PACT Zollverein, umhegt von roten Museumsabsperrkordeln an Messingständern. Das Publikum schaut von drei Seiten drauf, sitzt aber. Das hat auch etwas von Boxring oder Käfig. Was, wie so vieles in „Black Privilege“, nicht so richtig zu passen scheint. Diese Soloperformance der südafrikanischen Tänzerin und Choreografin Mamela Nyamza, die irgendwie auch ein Duett ist, scheint anzutreten, alles absichtlich Kunstvolle, clever Kombinierte und logischerweise auch das bewundernswert Getanzte zu verweigern.
In seiner Konsequenz hat dieses „Schwarze Privileg“ Stärke. Und Witz. Aber niemand lacht. Es herrscht Bitterkeit. Kein Wunder auch, dass sich die Künstlerin am Ende dem Applaus verweigert und einfach nur herumsitzt auf dem schwarzweißen Boden, während ihr Aufpasser, Zeremonienmeister oder Museumsführer, der Dramaturg Sello Pesa im imposanten roten Mantel, das irritierte Publikum nach 45 Minuten höflich aus dem Saal scheucht, es solle an die frische Luft, und „sie braucht jetzt Entspannung“. Dass er Macht hat in seiner Dienerrolle, zeigt sich, wenn der (fast) gesamte Saal sich zweimal klaglos von den Sitzen erhebt und wieder hinsetzt, nur auf seine priesterhafte Geste und die Bitte hin, „you may rise“, „you may sit down“. Hat er also „Black Privilege“?
Kontrastiert wird dieser minimale Spracheinsatz mit einer Stimme vom Band, die mit amerikanischem Akzent gegen Ende der Performance wie ein Navigationsgerät Fahranweisungen gibt, die niemand befolgt: „Geradeaus“, „links abbiegen“, aber auch Warnungen wie „Unfall voraus“ oder „Polizei“. Zu diesem Zeitpunkt kriecht die Tänzerin langsam am Boden, in ihrem kleinen abgesteckten Areal, Farbschlieren hinterlassend, die an Blut gemahnen, und von „400 Metern geradeaus“ könnte sie da nur träumen. Mamela Nyamza agiert kein Drama aus, sondern schiebt sich systematisch voran um die Ecke. Aber vielleicht erinnert sie sich hier an ihre Mutter, die vergewaltigt und ermordet wurde, was dazu führte, dass sie, die hoffnungsvolle, begabte Ballett- und Musical-Tänzerin sich etliche Jahre um die Familie kümmerte und nicht um die Kunst.
Seit ihrem autobiographischen, tanztheaterinspirierten Solo „Hatch“ von 2008 erhält Mamela Nyamza Gastspieleinladungen in alle Welt und Koproduktionsangebote. Nur in ihrem eigenen Land, Südafrika, habe sie kaum, wie sie häufig erklärt, Fördergelder und Auftrittsmöglichkeiten. Alles andere als privilegiert sei ihre Position und die ihrer schwarzen Kolleginnen. Bis sie endlich im Jahr 2018 ins Programm des größten Kunstfestivals des Landes, des National Arts Festivals in Grahamstown geladen wird mit der Uraufführung von „Black Privilege“ im Juli, das jetzt bei der Ruhrtriennale seine europäische Erstaufführung erlebt.
Sie beginnt – das „Privileg“ ist ja eine Frage oder Vision – ganz oben. Auf einer Art Turm wird Mamela Nyamza hereingerollt, ganz langsam, erst um das Ehrenquadrat herum, dann kreiselnd darinnen. Eine Aussichtsplattform mit Treppe oder Schiedsrichterausguck. Tatsächlich schaut sie – herab aufs Publikum. Mit arroganter Mine und herrischen Kinnrucken thront sie, mit Schmuck behängt und blankem Oberkörper. Eine Modelfigur. Sie ist nicht schwarz, sondern ihre Haut schimmert wie Bronze. Je nach rumpelig gewechseltem Licht verändert sich der matt-metallene Schimmer. Ein Mensch als Denkmal. Eine Frau aus Edelmetall. Dieses Zurschaustellen hat etwas schön Zwiespältiges.
Die Tänzerin sitzt, steht, einmal posiert sie mit Speer und mit zwei Waagschalen der Gerechtigkeit. Zu Techno-Popmusik ruckt sie, fast maximal beherrscht, nur mit den Zehen, dann mit den Schultern. Nachdem es still wird, macht sie selbst die Musik: indem ein personenwaagengroßes Trainings-Powerplate auf der Turmplattform eingeschaltet wird, auf High Speed, und sie fortan in unterschiedlichen Positionen darauf balanciert; von Stehen über Hocken bis Liegen. Und immerzu rüttelt es sie durch, mal ganz, mal einzelne Körperteile, so dass die Metallplättchen des Schmuckes klimpern. Die Parodie auf das Afrotanzklischee vom Hüftschütteln ist erkennbar. Von der Wonne des Vibrierens oder Fake-Tanzes verändert sich Nyamzas Ausdruck hin zum Ausgeliefertsein. Zu Andeutungen von Sex. Zur Aussichtslosigkeit auf einem halben Quadratmeter Platz.
Wer der Tradition der Ruhrtriennale gemäß viel Tanzen oder zumindest eine erkleckliche Rauminszenierung erwartet hatte, ging nörgelnd heim. Das Stück ist in dem Großfestival gewagt und nicht ideal platziert. Andererseits: Es rammt mit seiner Frage einen guten und zeitgemäßen Stachel in das Event. Wer gern mal mit so einer Künstlerin um die Ecke denkt, ging bereichert heim.