Szene aus "Sind wir Freunde" mit Tristan Vogt

Vom Ich zum Wir

Tristan Vogt: Sind wir Freunde?

Theater:Thalias Kompagnons, Premiere:05.07.2022Regie:Iwona Jera

Nach „Was Sachen so machen“ und „Daheim in der Welt“ vollenden nun „Thalias Kompagnons“ mit „Sind wir Freunde?“ eine Trilogie von Stücken, die mit einfachen Materialien einem sehr jungem Publikum Geschichten erzählen. Nach dem plötzlichen Tod von Joachim Torbahn im Dezember 2021 besteht nun Thalias Kompagnons allein aus Tristan Vogt. Aber der Geist von Torbahn ist auch in dieser Premiere spürbar, die nun bei „Südwind“, dem 1. Bayerischen Treffen von Theatern für ein junges Publikum am Stadttheater Ingolstadt, stattfand.

Um eine ganze Welt entstehen lassen, genügt Vogt ein Hocker, auf dem ein Schemel steht. Auf diesem wiederum thront ein mit einem Tuch abgedeckter Karton, eine „Entdeckungskiste“, wie wir erfahren. Die hat der Spieler geschenkt bekommen – und das, was in diesem Karton verborgen ist, sind lauter halbwegs runde Materialien wie Basalt, Keramik, etc., deren besondere Eigenschaften erst einmal entdeckt werden müssen. Während Vogt sich auf den niedrigen Schemel setzt und den Hocker zur Spielfläche macht, holt er aus der Entdeckerkiste etwas Schwarzes in nicht vollendeter Kugelform hervor. Er verstrickt sich dabei mit dem „Ding“ in einen Dialog: Sowohl Figurenspieler wie Material behaupten „Ich bin Ich“. Als auch noch eine kleine schwarze Kugel hinzukommt, verschärft sich der Streit durch die Tatsache, dass beide keine Namen haben. Die/der Kleine kann das Problem lösen, weil er/sie das Publikum befragt und nun „Mona“ heißt, während der/die Große plötzlich Dirk heißt.

Mit jedem neuen Material – Seeigel oder Neptunsball, nicht runde Keramik oder Glasmurmel – öffnet Vogt nicht nur neue Fraktionen – wie zum Beispiel die „Stacheligen“ (Seeigel) gegen die Nichtstacheligen –, sondern führt zugleich mit freundlicher Zuwendung vor, wie Ausgrenzung formuliert, wobei ihn sehr viel mehr interessiert, wie diese verschiedenen Charaktere (Materialien) zusammenkommen können. Es sind am Ende neun Objekte, mit denen Vogt spielt. Um aus dem „Ich“ ein „Wir“ entstehen zu lassen, braucht es denn doch ein besonderes Material, das Knetgummi, dem es gelingt, aus lauter Individuen, die gerade gelernt haben, „Ich“ zu sagen, ein Ensemble zu formen.

Was an Tristan Vogts Arbeiten immer wieder bezaubert, ist nicht nur die Freundlichkeit gegenüber seinen Objekten und dem Publikum, sondern mehr noch seine Fähigkeit, diese toten Gegenstände so zu animieren, dass man empathisch mitfühlt, sie als lebendige Dinge empfindet. Dabei entsteht in der offenen Spielform immer eine doppelte Sicht: Ich sehe dem Spieler zu, wie er animiert, wie er seine Figuren zum Sprechen bringt und sie auch mimisch kommentiert, und zugleich sehe ich eine vom Spieler sich lösende autonome Figur mit ganz eigenem Erleben, die manchmal dann wieder in ihrer Materialität erstarrt, wenn andere „Sachen“ bespielt werden. Vogt spielt dabei selbstverloren, ganz im Vorgang des Spielens aufgehend: Kurz: er spielt wie ein in sich selbst versunkenes Kind.

Da braucht es am Ende eigentlich nicht den Hinweis an die zuschauenden Kinder, sich wie Pippi Langstrumpf als Sachensammler zu betätigen und mit diesen Dingen zu spielen. Denn Tristan Vogt führt einfach vor, wieviel Spaß es machen kann, in der Natur aufgefundene Sachen zu animieren. Iwona Jera (Regie) hat mit genauem Blick und Gespür für den dramaturgischen Aufbau den Spieler unterstützt. „Sind wir Freunde?“ ist übrigens nicht nur für Kindergartenkinder geeignet, sondern ebenso für Erwachsene, die ihre Lust an der Magie des Spielens noch nicht verloren haben (oder die sie wiederzugewinnen versuchen).